Anke van Keulen und Peter Moss interviewen die Direktorin des Zentrums für Gleichstellung und Innovation in der frühen Kindheit (CEIEC) an der Universität Melbourne, eine der wichtigsten Befürworterinnen der Chancengleichheit für alle jungen Kinder.
Bitte erzählen Sie uns, woher Sie kommen und was zu Ihrem Interesse an den Themen Vielfalt und Gleichheit geführt hat.
Ich wurde in den späten 60er Jahren in Australien zur Kindergartenerzieherin ausgebildet. Es war die Zeit der Proteste gegen den Vietnamkrieg, einer großen Bewegung gegen Atomwaffen, der Forderung nach Landrechten für die Ureinwohner und nach der Befreiung der Frau. In dieser Situation wurde ich zur Feministin, Antikriegsaktivistin und Erzieherin. Die Gründe, warum dies alles geschah, sind komplex und schwierig nachzuzeichnen, aber ich weiß, dass sie mich auf einen Weg brachten, auf dem die Themen Gleichheit und Vielfalt immer wichtiger für mich wurden.
Sie sind Direktorin des CEIEC. Wann und warum wurde das Zentrum eingerichtet?
Das CEIEC wurde als Forschungszentrum der Universität Melbourne im November 2001 als Teil der strategischen Arbeit an der Bildungsfakultät eingerichtet, um eine kritische Masse von Wissenschaftlern in den Kernbereichen der Fakultät zusammenzuführen. Als die Idee des Zentrums entwickelt wurde, arbeitete ich mit einer wachsenden Zahl von Doktoranden zusammen, die zum Thema Kindheit forschten und Gleichstellungsthemen untersuchten. Ich hatte eine kleine, aber begeisterte Gruppe von Kollegen, die mein Interesse an Kinderrechten und sozialer Gerechtigkeit teilten. Ich war überzeugt, dass wir unsere Anstrengungen darauf richten könnten und sollten, einen gesicherten und potenten Bereich zu schaffen, in dem wir unsere Arbeit tun und einen strategischen, auf Forschung beruhenden Ansatz finden konnten, um eine sozial fortschrittliche und politisch engagierte Veränderung in der Bildung für die frühe Kindheit herbeizuführen.
Die Arbeit des Zentrums beruht auf vier Grundüberzeugungen:
- Alle Kinder haben das Recht, als gleiche und aktive Bürger an der frühen Bildung teilzuhaben – ihrer Rechte sicher und frei von allen Formen der Diskriminierung einschließlich Rassismus, Sexismus und Klassendiskriminierung.
- Die Partnerschaften zwischen Gemeinde und Universität sind eine wesentliche Komponente bei der Förderung von Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit und Innovationen in der frühen Bildung.
- Forschung auf hohem Niveau ist eine Grundkomponente, um die Erfahrungen der Kinder in der frühen Bildung zu verbessern.
- Eine interdisziplinäre Herangehensweise, die sich auf Interessennetzwerke rund um soziale Gerechtigkeit und Schlüsselthemen der Gleichstellung bezieht, ist eine wichtige Komponente, um Kenntnisse über Gleichheit, Kinderrechte und frühkindliche Bildung zu gewinnen.
An welchen Fragen arbeitet das Zentrum heute? Können Sie Beispiele nennen?
Wir haben gegenwärtig drei aktive Forschungsprogramme: »Staatsbürgerschaft, Kinder und Bildung«, »Identität, Gleichheit und Bildung« und »Pädagogik für soziale Veränderungen«. In jedem dieser Programme laufen verschiedene spezielle Projekte. Eine Anzahl der gegenwärtigen Projekte im Programm »Staatsbürgerschaft, Kinder und Bildung« umfasst auch die Arbeit mit der regionalen Regierung über die wachsende Rolle junger Kinder in der Politik und beim Fällen von Entscheidungen. Schlüsselprojekte im Programm »Identität, Gleichheit und Bildung« konzentrieren sich auf die Beziehungen zwischen Personal und Eltern in kulturell unterschiedlichen Zusammenhängen und darauf, wie junge Kinder ethnische Identitäten konstruieren.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Themen, denen junge Kinder und ihre Familien heute in Australien gegenüberstehen?
Die Probleme sind für verschiedene Familien und junge Kinder unterschiedlich. Es ist jedoch klar, dass es signifikante Gruppen von jungen Kindern gibt, die im modernen Australien mit Benachteiligung und Diskriminierung konfrontiert sind. Ich denke, es ist dringend notwendig, Wege zu finden, um das für diese Kinder und ihre Familien in Angriff zu nehmen und zu verändern. Besonders viele indigene Kinder und ihre Familien sind mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert, wenn es darum geht, dass ihre Bedürfnisse und Wünsche gehört werden und man ihnen mit Respekt begegnet.
Wo liegen Ihre Prioritäten für die frühkindliche Bildung und Betreuung?
Am wichtigsten ist die Demokratisierung aller Aspekte des Curriculums für die frühe Kindheit, der Beziehungen und der Politik – sodass alle Kinder ihre Möglichkeiten als sozial gerecht und respektvoll behandelte Bürger im Hier und Jetzt ausleben können und nicht nur als künftige Arbeitskräfte und lebenslang Lernende angesehen werden. Für mich sind die Ausbildung von Erziehern für die frühe Kindheit und die Forschung entscheidend dafür. Ich denke, es ist wichtig, in die Möglichkeiten der Erzieher zu investieren, für ihren Beruf gründlich zu lernen und ihn kritisch zu reflektieren, damit sie als, wie Gramsci es nennt, »organische Intellektuelle« handeln können, als Manager der Veränderung hin zu mehr Demokratie in ihrem lokalen Umfeld.
Wer und was war es, das den größten Einfluss auf Ihre Arbeit ausgeübt hat – als Wissenschaftlerin und Erzieherin?
Das ist eine noch schwierigere Frage als die vorige. Der Einfluss ist unglaublich vielfältig und hat sich oft verändert, aber Paulo Freire war besonders wichtig und nachhaltig, weil er mich an die Hoffnung für Veränderung erinnert hat, die in Bildung eingebettet werden kann. Politisch wurde ich von den Geschichten, Träumen und Aktionen vieler Feministinnen aus Vergangenheit und Gegenwart inspiriert, aber auch von Bürgerrechtsaktivisten in vielen verschiedenen Ländern und Menschen, die in ihrem Leben unter härtesten Umständen gegen Diskriminierung arbeiten. Auf dem Gebiet der frühen Kindheit wurde ich auch von vielen großartigen Aktivisten angeregt, darunter Louise Derman-Sparks, Babette Brown, Elisabeth Dau und viele meiner Kollegen aus dem DECET-Netzwerk. Einen ständigen Einfluss auf meine Arbeit als Wissenschaftlerin und Erzieherin haben jedoch auch die Studenten und Schüler unterschiedlichen Alters ausgeübt, mit denen ich zusammengearbeitet habe und immer noch zusammenarbeite. Was sie einbringen, wonach sie fragen, was sie in Frage stellen und was sie anstreben, behält Einfluss auf die Fragen, die ich an mich selbst stelle, auf meine Forschung und meine Lehre.
Ein 2005 erschienenes Buch von Ihnen heißt »Doing Foucault in Early Childhood Studies«. Warum finden Sie Foucault bedeutend und wichtig?
Ich habe Foucault durch die feministischen Schriften von Valerie Walkerdine und Bronwyn Davies entdeckt. Angezogen haben mich seine Erkundungen der Politik der Wahrheit und die Art und Weise, wie er Beziehungen entdeckt zwischen unserer Art zu denken und in der Welt zu handeln. Er weist Wege, um die Verbindungen zwischen Sprache, Wissen und Macht zu verstehen, die ich faszinierend, herausfordernd und hilfreich finde, wenn ich versuche, gründlicher zu denken und effektiver für soziale Gerechtigkeit und Kinderrechte zu handeln. Seine Ideen werden immer stärker genutzt, um die Reflexion über die Wissenschaftspolitik auf meinem Gebiet und die Art, wie sie einigen Gruppen Vorteile verschafft und andere Gruppen benachteiligt, anzuregen. Durch diese kritische Reflexion entstehen neue Gleichstellungspraktiken und wachsen neue Möglichkeiten, demokratische und sinnvolle Partnerschaften mit Kindern aufzubauen.
Ihr Vortrag auf der DECET-Tagung im Oktober hieß »Strategien, um gleiche Chancen für junge Kinder in Einrichtungen für die frühe Kindheit zu fördern«. Können Sie umreißen, um welche Strategien es geht?
Strategien kann man als einfache Schritte sehen, um in jeder gegebenen Situation, in der man sie anwendet, erwünschte Ergebnisse zu erreichen. Aber ich denke anders über Strategien. Ich interessiere mich dafür, wie wir nachdenklicher werden – was ich strategisch nenne –, in der Art und Weise, wie wir über Kinder denken und wie wir unsere Beziehungen mit Kindern gestalten. Die Schlüssel-«Strategie«, von der ich denke, dass sie dies ermöglicht, ist, unser Leben miteinander und den Kindern als kritische Sinnsucher zu leben.
In Ihren Artikeln und Präsentationen fördern Sie einen transformativen Bildungsansatz und kritische, informierte Gemeinden. Was bedeutet das für Settings für die frühe Kindheit?
Die Betonung im transformativen Bildungsansatz und kritischen, informierten Gemeinden liegt auf dem Aufbau von Fähigkeiten der Teilnehmer als kritische Sinnsucher und Manager der sozialen Veränderung, so dass sie in ihrem örtlichen Kontext zu sozial fortschrittlichen Veränderungen führen können. Erzieherinnen werden als Managerinnen für Veränderungen und Wissensentwickler angesehen und nicht als unkritische Konsumenten des Wissens anderer Leute.
In Ihrer Veröffentlichung »Respect for Diversity. An international Overview«, die 2006 von der Bernard-van-Leer-Stiftung publiziert wurde, erklären Sie die verschiedenen Denkschulen zum Thema Vielfalt und Verschiedenheit. Welche davon bevorzugen Sie und warum?
Ich bin leidenschaftlich von einem Antidiskriminierungsansatz bei Vielfalt und Verschiedenheit überzeugt. Das beruht auf dem Glauben, dass es möglich ist, die Welt respektvoller und sicherer für alle zu machen, wenn wir unterdrückende und ungerechte Machtbeziehungen zwischen verschiedenen Gruppen erkennen und angehen. Ebenso wie ich glaube, dass solche Beziehungen die menschlichen Möglichkeiten in uns einschränken und verringern, finde ich Hoffnung in einer Herangehensweise an Respekt vor der Vielfalt, die sich auf die Fragen von Macht und Politik in unseren Beziehungen zueinander konzentriert.
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