Soziale Ungleichheit sowie Ausgrenzungserfahrungen aufgrund bestimmter Merkmale, wie Herkunft, Hautfarbe und physischer oder psychischer Merkmale, finden sich auch in Kindertageseinrichtungen wieder. Es ist eine irrige Annahme, dass gesellschaftliche Prozesse vor der Tür der Kindertageseinrichtungen halt machen. Wie aber sollen Teams in Kindertageseinrichtungen dieser Herausforderung begegnen?
Jedes Kind hat das Recht auf Schutz vor Ausgrenzung und Diskriminierung – was tun?
Wie sollen Erzieher/innen ihre eigene Praxis kritisch reflektieren, um allen Kindern dieses Recht zu gewähren? Können Sie gesellschaftliche Schieflagen auffangen und thematisieren? Wir brauchen dazu konkrete Anregungen und Unterstützung, um diesen Weg gemeinsam mit Kindern gehen zu können.
In einem internationalen Überblick über bestehende Theorien, Forschungsvorhaben, Ansätze und Methoden, die Respekt für Vielfalt und Gleichwürdigkeit (Equity) fördern, zeigt Glenda Mac-Naughton (2006) auf, dass nur wenig fundiertes Wissen existiert, wie Fachkräfte und Kinder am wirkungsvollsten unterstützt werden können. Die Forschungsergebnisse, auf die man sich bis zum jetzigen Zeitpunkt beziehen kann, so MacNaughton, weisen drei vielversprechende Anknüpfungspunkte für pädagogische Ansätze auf. Zuerst gibt es Indikatoren, die darauf hinweisen, dass Einseitigkeiten direkt angesprochen werden müssen. Kinder zwischen drei und acht Jahren brauchen konkrete Interventionen, wie Gespräche und Diskussionen mit Erwachsenen und Gleichaltrigen, um Einseitigkeiten abzubauen. Zweitens, reicht die Begegnung mit Vielfalt allein nicht aus, um Einseitigkeiten und Vorurteile abzubauen. Sie können sie, im Gegenteil noch verstärken (vgl. Mac-Naughton 2006, S. 3f). Unterstützend wirkt eine Kombination, das heißt die Begegnung mit Vielfalt gekoppelt mit einer pädagogischen Praxis und Lehrmaterialien, die Kinder dabei unterstützen neugierig und offen auf Menschen zuzugehen, die anders sind als sie selber. Der dritte Punkt weist darauf hin, dass Kinder zwischen fünf und acht Jahren gezielte und wiederholte Interventionen brauchen, um Einseitigkeiten abbauen zu können. Forschungsergebnisse aus den USA zeigen, dass Kinder in diesem Alter sich eher an stereotype und einseitige ethnische Darstellungen von Menschen und negative Beschreibungen von Afro-Amerikanern/innen in Geschichten erinnern, dass sie Vorurteile gegenüber Sprachgruppen äußern, denen sie nicht angehören und dass sie höherqualifizierte Berufsgruppen wie z.B. Ärzte oder Anwälte, mit einer helleren Hautfarbe assoziieren (vgl. MacNaughton 2006, S. 6).
Die Auswirkungen einer vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung für ältere Kinder sind nur unzureichend erforscht, aber die wenigen Funde sind ermutigend (vgl. MacNaughton 2006, S. 6). Es scheint, dass gezielte Interventionen die Haltungen von Kindern verändern können, wenn sie nachdrücklich, gezielt und langfristig geplant und umgesetzt werden.
Die Arbeit mit Persona Dolls kann eine solche konkrete, nachdrückliche, gezielte und langfristige Anregung darstellen.
Was sind Persona Dolls?
Persona Dolls sind ganz besondere Puppen, Puppen mit Persönlichkeit. Sie haben einen Namen, eine Familie, eine Geschichte, Vorlieben und Abneigungen. Sie haben ein Zuhause, sprechen bestimmte Sprachen, haben ein Lieblingsgericht und mögen manches Essen überhaupt nicht, sie machen manches gerne und kriegen manches nicht gut hin. Sie sind wie ein Kind der Gruppe, haben Merkmale, mit denen sich Kinder identifizieren können. Und sie können Kindern die Erfahrung mit Vielfalt vermitteln, wenn sie Erfahrungen und Merkmale haben, die in der Gruppe selbst nicht präsent sind. Berichten sie von Erlebnissen, in denen sie unfair behandelt oder abgelehnt wurden, so eröffnen sie Möglichkeiten für Kinder, ihrerseits von solchen Erfahrungen zu berichten. Sie sind ein Mittel, das die Arbeit mit dem vorurteilsbewussten Ansatz sehr wirkungsvoll unterstützen kann, indem sie Respekt für Vielfalt anregen und gleichzeitig dazu beitragen, auch bedrückende Erfahrungen zu thematisieren und Kinder damit nicht länger alleine zu lassen.
Wie werden Persona Dolls eingesetzt?
Persona Dolls »besuchen« die Kinder in der Kindergruppe und erzählen von sich und ihren Erlebnissen. Sie haben bestimmte Eigenschaften und machen Erfahrungen, in denen sich viele Kinder wieder finden. Häufig sind es lustige und glückliche Geschichten, aber manchmal nicht. Kinder fühlen mit ihnen, wenn sie glücklich und wenn sie traurig sind. Sie schließen schnell Freundschaft mit den Puppen und freuen sich auf ihren Besuch.
Die Gestaltung einer Persona Doll und ihrer Persönlichkeit spiegelt die Vielfalt der Kindergruppe wider. Wichtig ist, dass die Puppe lebensecht aussieht, um leichter eine Identifikation mit ihr zu ermöglichen. Um Stereotype zu vermeiden, sind korrekte Informationen eine wichtige Grundlage, zu allererst von Eltern. Bei Elternbefragungen sollte die Erzieherin bedenken, dass jede Familienkultur anders ist. Eine türkische Familie repräsentiert nicht die Lebensgewohnheiten und -rituale aller türkischen Familien! Die Geschichten, die die Puppen erzählen, enthalten Facetten der Erlebnisse der Kinder. Sie erzählen aber auch von Dingen, die die Kinder nicht kennen und ermöglichen ihnen Einblicke in bislang Unbekanntes. Wesentlich ist, dass die Puppen nicht als »Problemträger« wahrgenommen werden »Max hat immer Probleme, bei denen wir ihm helfen.«
Ich-Identität und Bezugsgruppen Identität stärken
Persona Dolls initiieren Gespräche über äußere Merkmale wie Geschlecht, Hautfarbe, Augenfarbe, Haare, Kleidung usw. Auch Merkmale der Persönlichkeit wie Alter, Familie, Familiengewohnheiten, Alltagsgestaltung, Freunde, Religion, Wohnort usw. werden besprochen. Im Austausch mit der Puppe und untereinander erfahren die Kinder Anerkennung und Wertschätzung für sich und ihre primäre Bezugsgruppe, die Familie. Dazu gehören auch Sachinformationen z.B. über die Entstehung von Hautfarben oder Haarstrukturen.
Vielfalt lebendig machen
Die Puppen ermöglichen einen Zugang zu unterschiedlichen Familienkulturen. Mit Persona Dolls können Kinder dazu angeregt werden, eigene Gefühle auszudrücken, sich in andere hineinzuversetzen und Menschen mit Respekt und Offenheit zu begegnen, die sich von ihnen unterscheiden. Wichtig ist dabei das didaktische Prinzip an Gemeinsamkeiten anzusetzen, bevor man Unterschiede thematisiert »Wir allen haben eine Hautfarbe. Sie ist bei jedem unterschiedlich.«
Verena ist fünfeinhalb Jahre alt. Sie hat halblanges blondes Haar. Ihr Haar verstrubbelt sich ganz schnell und beim Kämmen ziept es dann. Sie ist ein bisschen dicker als die anderen Kinder in ihrer Kindergartengruppe. Verena wohnt zusammen mit ihrer Mutter und hat einen Kater, der heißt Mikesch. In der Kammer in der Küche gibt es Katzenfutterdosen auf Vorrat und auch ein Vorrat mit Nudeln und Tomatendosen, damit sie immer was zu essen haben, wenn das Geld knapp wird. Für die Katzenstreu reicht das Geld manchmal nicht, dann zerreißen Mama und Verena Zeitungspapier in kleine Fetzen und füllen damit das Katzenklo. Verena und ihre Mama sind erfinderisch!
Kritisches Denken über Vorurteile und Diskriminierung anregen
Mit der Hilfe von Persona Dolls kann das Verständnis von Kindern von Gerechtigkeit und unfairem Verhalten weiterentwickelt werden. Ebenfalls entwickelt wird dabei der Wortschatz für Gefühle und Empfindungen. Kinder entwickeln somit eine Bandbreite an differenzierten Ausdrucksmöglichkeiten, um Ungerechtigkeiten zu thematisieren und adressieren.
Max ist vier Jahre alt. Er hat zwei Mütter, die getrennt leben. Er hat eine beste Freundin, die heißt Pelin. Zusammen spielen sie am liebsten Fußball. Pelin schießt hammerharte Tore! Als sie neulich zusammen mit Max Cousin Bruno gespielt haben, hat der sich die ganze Zeit über Pelin lustig gemacht. Er hat gesagt, Mädchen können keinen Fußball spielen, sie sind zu doof. Max wusste nicht was er sagen soll. Was glaubt ihr, wie er sich gefühlt hat? Max wollte euch fragen, ob ihr ihm helfen könnt. Was kann er sagen, damit Bruno damit aufhört?
Widerstand gegen Vorurteile und Diskriminierung ermutigen
Kinder werden in die Lage versetzt, sich mitfühlend und respektvoll der Betroffenheit eines anderen zuzuwenden und sich darum zu kümmern und zu helfen. Sie denken darüber nach, wie sie sich bei unfairem Verhalten schützen und wehren können und entwickeln Problemlösestrategien und -kompetenzen.
Mwasilinda ist vier Jahre alt. Sie wohnt mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester in einer Wohnung in der Stadt.
Sie will euch jetzt etwas erzählen, das ihr ein bisschen Kummer bereitet und sie auch manchmal ärgerlich macht. Neulich, beim Elternnachmittag in der Kita, da waren viele Erwachsene, die sie nicht kennt und da war eine Frau an ihrem Tisch, die hat sie angesprochen und gefragt: »Und wo kommst du denn her?« Und das war nicht das erste Mal, dass sie das gefragt wird. Manchmal fragen sie Leute auf der Straße, die sie gar nicht kennt, wo sie herkommt.
Hat euch schon mal jemand gefragt, wo ihr herkommt? Was glaubt ihr, ärgert sie daran, was bereitet ihr Kummer?
Stimmt, ihr habt recht, sie hat dann immer das Gefühl, dass sie nicht ist wie andere Kinder, und sie kriegt ein komisches Gefühl im Bauch und ist sich nicht mehr sicher, ob sie genauso dazu gehört wie alle anderen. Vielleicht denkt sie dann auch, dass sie nicht hierher gehört, weil sie eine braune Hautfarbe hat. Und das ist unfair, denn alle Kinder gehören dazu und gehören hierher, egal welche Hautfarbe sie haben. Und es ist unfair ein Kind auszuschließen und ungerecht, und das erlauben wir nicht. Sie möchte auch manchmal eine gute Antwort geben, wenn sie so gefragt wird, aber sie weiß keine. Ihr könnt ihr helfen und miteinander überlegen, was sie denn antworten könnte, wenn sie so gefragt wird.
Persona Dolls kommen einmal in der Woche die Kindergruppe besuchen, es kann aber auch mal länger dauern bis sie zu Besuch kommt. Die Erzieherin plant und initiiert die Besuche in denen Themen angesprochen werden, die die Erfahrungen der Kinder in der Gruppe betreffen oder auch Kinder außerhalb der Gruppe. Sollte sie es mal vergessen, werden die Kinder sie erinnern, Isa, Anna, Kemal oder Mwasilinda wieder einzuladen. Die Puppe sitzt auf dem Schoß der Erzieherin. Die Erzieherin beugt ihr Ohr zum Mund der Puppe und berichtet den Kindern, was die Puppe zu erzählen hat: »Verena sagt, dass sie heute etwas lustiges erlebt hat!«. Die Puppe selber spricht nicht. Ab und zu vergewissern die Kinder sich, dass die Puppe nicht wirklich sprechen kann. Die Erzieherin bestätigt ihre Annahmen »Mwasilinda ist wirklich nur eine Puppe. Und wir tun als ob.« Diese sachliche Auskunft reicht und unterbricht in keiner Weise den Kontakt zwischen Kindern und Puppe.
Was haben Kinder davon?
In der Arbeit mit Persona Dolls erleben Kinder, dass sie mit ihren Besonderheiten, Vorerfahrungen und Kompetenzen wahrgenommen und akzeptiert werden. Sie können sich aktiv beteiligen, wenn sie die Erfahrung machen, dass sie und ihre Familien etwas Wichtiges beitragen. Dialoge über Unterschiede, in denen die Deutungen der Kinder respektiert werden, helfen ihnen, eine respektvolle Sprache für die Unterschiede zwischen Menschen zu finden. Gelingende Bildungsprozesse setzen voraus, dass sich Kinder wohl fühlen. Sie müssen sicher sein und ohne Angst, um auf Neues zuzugehen. Erfahrungen mit Vielfalt, die am kindlichen Erleben ansetzen, ermöglichen ihnen, sich mit Unterschieden wohl zu fühlen und kompetent mit ihnen umzugehen. Sie erwerben auch Handlungskompetenzen gegenüber unfairem Verhalten und erleben sich als Handlungswirksam. Sie können etwas verändern und gemeinsam gegen Ungerechtigkeiten vorgehen. Wichtige Grundlage dabei ist die Entwicklung von Dialog- und Aushandlungskompetenzen, die einhergeht mit einer Gesprächskultur, die gekennzeichnet ist von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung.
Anke Krause
Literatur
Brown, Babette: Unlearning discrimination in the Early Years. Trentham Books: London, 1998.
Brown, Babette: Combating Discrimination. Persona Dolls in Action. Trentham Books: London, 2001.
Derman-Sparks, Louise and the A.B.C Task Force: Anti-Bias Curriculum. Tools for Empowering Young Children. NAEYC: Washington D.C., 1989.
Ensslin, Ute: Persona Dolls – Puppen erzählen, fragen und hören zu. In: Betrifft Kinder, 1/2004. S. 24-26. Verlag das netz: Weimar, Berlin.
Ensslin, Ute; Henkys, Barbara: Vielfalt ins Gespräch bringen mit Persona Dolls. In: Preissing/Wagner (Hrsg): Kleine Kinder, keine Vorurteile? Interkulturelle und Vorurteilsbewusste Ar-beit in Kindertagseinrichtungen. Herder Verlag: Freiburg, 2003.
Krause, Anke: Magie mit Methode. Persona Dolls unterstützen Dialoge mit Kindern. In: Betrifft Kinder, 03/2007. S. 13-17. Verlag das netz: Weimar, Berlin.
OECD, Länderbericht: Die Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland. 2004.
MacNaughton, Glenda; Williams, Gillian: Techniques for teaching Young Children. Choices in Theory and Practice. Pearson Education Australia. 2nd Edition, 2004.
MacNaughton, Glenda: Respect for Diversity. An International Overview. Working Papers Early Childhood Developmen. Bernard van Leer Foundation: Den Haag, 2006.
Whitney. Trisha: Kids Like Us. Using Persona Dolls in the Classroom. Redleaf Press.St. Paul: MN, 1999.
van Keulen, Anke et al. Poppen zoals wij. Methodisch werken aan respect voor diversiteit met jonge kinderen. SWP: Amsterdam, 2004.
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