Demokratisches und Politisches in Kitas
Alle Kinder sind aktive Mitglieder unserer Gesellschaft. In welcher Intensität das wirklich zutrifft, ist sehr unterschiedlich und interessengebunden. So haben Konsum- und Medienlandschaften klar strukturierte Orte (Mode, Spielsachen, Internet u.ä.) eingerichtet, die Kinder gezielt ansprechen. Wie sieht es in der demokratischen, gemeinschaftlichen und politischen Landschaft aus? Im Papier der Sondierungsgespräche1 der Großen Koalition war mit exakt einem Satz festgeschrieben, dass die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollen. Das ist ein politisches Signal, doch für den Transfer in die Praxis vor Ort in den Kitas braucht es mehr. Axel Möller hat darüber nachgedacht.
- Kinder sind selbstbewusst und trauen sich etwas zu, sie sind sich ihrer Familien und ihrer Identität bewusst;
- Kinder lernen, achtsame Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und akzeptieren Unterschiede zwischen den Menschen;
- Kinder erkennen unfaire Äußerungen und Handlungen und eignen sich dafür Kompetenzen an und
- Kinder können sich allein oder mit anderen gezielt gegen Vorurteile zur Wehr setzen (ebenda, S. 241).
Jedoch wirkt der Demokratiebegriff in der Kitapraxis noch etwas unbeholfen, steht dieser doch im Spannungsfeld zwischen einerseits der formal-repräsentativen Auffassung als Regierungssystem (Sturzbecher, Walz 2003) und andererseits als »Konzept demokratischer Selbstentfaltung« (ebenda, S. 14). Diese Selbstentfaltung spiegelt sich in der sozialen Partizipation oder, wie es John Dewey6 ausdrückte, als »Lebensform« wieder. Auch Lilo Dorschky weist in Bildungsziel: Demokratiekompetenz (DKJS 2009) darauf hin, dass sich alltagsdemokratische Handlungsansätze von Aushandlungsprozessen der Makropolitik unterscheiden müssen (ebenda, Abschnitt 12). Partizipative Alltagsprozesse basieren auf demokratischen Grundkompetenzen wie Empathie, Rollendistanz, Fähigkeiten zum sozialen Handeln und Ambiguitätstoleranz. Diese sollen Lernprozesse von Kinder befördern und sie gleichzeitig zu konstruktiven Akteuren machen (ebenda, Abschnitt 12). Mit Blick auf die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen kann man heute fragen: Wie können soziale und politische Partizipation in der pädagogischen Praxis verzahnt werden? Welche Rolle spielen hierbei die Kinderrechte? Welche Kompetenzen brauchen also pädagogische Fachkräfte?
In drei Szenarien praktisch gedacht
Um die Rolle der pädagogischen Fachkräfte vorerst anzuschauen, soll folgende szenische Skizze behilflich sein:
Eine Gruppe von Kindern steht am Ufer eines Sees und schaut auf das stille Wasser. Dabei erkennen die Kinder ihr Spiegelbild. Die pädagogische Fachkraft hört den Kindern zu und geht auf ihre Fragen ein. Plötzlich fällt ein Stein in das Wasser. Es bilden sich Ringe auf der Wasseroberfläche und die Spiegelbilder der Kinder werden undeutlich.
Hier frieren wir das Szenario ein, wie wir es aus Filmen kennen, um genauer hinzuschauen. Drei mögliche Konsequenzen können die pädagogische Fachkraft in diesem Gedankenspiel beschäftigen und sie weiß, dass sie binnen Sekunden reagieren muss:
Die verärgerten Kinder haben schnell das Kind gefunden, das den Stein in das Wasser geworfen und die Spiegelbilder, die die Kinder betrachtet haben, zerstört hat. Einige Kinder bilden eine Gruppe und verurteilen sofort die Tat des Kindes in ihrer Mitte.
Die Wellen erinnern an das ökosystemische Modell von Urie Bronfenbrenner7: Die sich erweiternden Kinderräume8 sind Teil unserer demokratischen Gesellschaft. Familien und Freunde, Kitas und Spielplätze, die Bildungslandschaften wirken vielfältig auf die Kinder. Alle Kinder kommen aus verschiedenen Familien in unterschiedlichen Milieus, gehen in dieselbe Kita und danach besuchen sie unterschiedliche Schulen, um später einen Beruf zu erlernen oder ein Studium zu beginnen. Der Wurf des Kindes kann nun verstanden werden als Stein des Anstoßes, mit dem ein konstruktives Gespräch über die Vergrößerung des Lebens und die gemeinsame Zukunft – aller Kinder und jedes einzelnen Kindes – begonnen werden kann.
Axel Möller ist Koordinator und wissenschaftlicher Mitarbeiter im ESF-Programm »Kinder Stärken« Kompetenz- und Beratungsstelle www.kinder-staerken-sachsen.de in der Regionalstelle Dresden am Zentrum für Forschung, Weiterbildung und Beratung an der ehs Dresden gGmbH.
Kontakt
Axel.moeller@ehs-dresden.de
1 Siehe https://www.tagesschau.de/inland/ergebnis-sondierungen-101.pdf S. 10, gelesen am 06.02.2018 … »II. Kinder stärken – Kinderrechte ins Grundgesetz – Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern.«
2 Siehe: https://www.weiterbildungsinitiative.de/uploads/media/WiFF_Exp _47_Prengel_web.pdf, gesehen am 13.02.2018
3 Siehe auch: https://www.dkjs.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/themen /Fruehe_Bildung/Demokratie_von__Anfang_an-Arbeitsmaterialien_fuer_ die_Kitapraxis.pdf, gesehen am 13.02.2018
4 Siehe auch: https://www.kinder-beteiligen.de/dnld/kinderstubederdemokratie.pdf, gesehen am 13.02.2018
5 Siehe auch: https://situationsansatz.de/Downloads_kiwe.html, gesehen am 13.02.2018
6 John Dewey, amerikanischer Pädagoge und Philosoph (1859–1952), hauptsächlich bekannt durch sein Werk »Demokratie und Erziehung«, Beltz
7 Für Urie Bronfenbrenner ist die Entwicklung des Menschen in eine »dynamische Einheit« eingebunden und beruht auf Wechselwirkung von Individuum und Umwelt. Die von ihm als Mikro-, Meso-, Exso-, Makro- und Chronosysteme werden in seinem Modell als Kreise dargestellt. Siehe auch als erste Annäherung: https://de.wikipedia.org/wiki/%C3% 96kosystemischer_Ansatz_nach_Bronfenbrenner
8 Lothar Böhnisch spricht von Kinderräumen, die nicht abgeschottet sind und die Qualität einer Kinderöffentlichkeit haben, welche das raumbetonte und forschende Lernverhalten von Kindern unterstützt.
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/18 lesen.