Springschwänze: Immer gleich zu Tausenden...
Es gibt kaum einen Lebensraum, in dem nicht eine riesige Zahl kleiner und kleinster Tiere zu finden ist – und dennoch wissen wir über sie und ihr Leben nur sehr wenig. Nur selten kennen wir ihre Namen, und noch weniger wissen wir über ihre Rolle und Bedeutung in ökologischen Zusammenhängen. Viele Kinder interessieren sich aber für die Welt der Kleinlebewesen. Deshalb stellt Herbert Österreicher verschiedene und höchst bemerkenswerte Vertreter der wichtigsten zoologischen Gruppen vor. Die Serie begann in Heft 10/06.
Biologie und Ökologie
Tiere, die so klein sind, dass sie mit freiem Auge kaum zu sehen sind und für kleine Krümel gehalten werden, finden selten unsere Beachtung. Es sei denn, diese Krümel springen. Dann wird die Sache kritisch, denn Flöhe sind alles andere als beliebt. In den meisten Fällen handelt es sich bei solchen winzigen Springern aber nicht um Flöhe, sondern um Springschwänze oder Collembolen.
Springschwänze, bei denen heute weltweit 6.000 Arten unterschieden werden, gehören zu den einfachsten Insekten und werden von Zoologen als eigene Ordnung betrachtet. Die kleinsten Vertreter dieser »Urinsekten« sind gerade mal 0,3 Millimeter lang, die größten erreichen immerhin etwas über 5 Millimeter. Die meisten Arten sind länglich, mit einem Fühlerpaar am Kopf, sechs Beinen am Vorderkörper und einem meist spitz zulaufenden Hinterleib.
Wichtige gemeinsame Kennzeichen sind fehlende Flügel und eine Sprunggabel (Furca). Die Sprunggabel besteht aus einem spitzen Fortsatz, der am Ende des Hinterleibs entspringt und in der Ruhestellung an der Bauchseite nach vorn geklappt wird. Dort befindet sich eine Haltevorrichtung mit kleinen Zähnchen, in die die Sprunggabel »eingehängt« wird. Zu sehen ist das allerdings nur, wenn die Tiere auf dem Rücken liegen und man durch eine sehr starke Lupe schaut.
Die Sprunggabel ermöglicht den Tieren reflexhaftes, sehr rasches Springen. Daher auch der Name »Springschwänze«.
Normalerweise laufen sie aber auf ihren sechs Beinen. Diese Fortbewegung ist so langsam, dass man sie nur aus nächster Nähe wahrnehmen kann. Bei Gefahr und in Stresssituationen springen die Tiere jedoch in alle Richtungen. Das ist schon deshalb auffällig, weil Tausende auf engstem Raum gleichzeitig in Bewegung sein können.
Der Sehsinn der meisten Springschwänze ist stark reduziert. Viele besitzen Pigmentflecken statt Augen. Das ermöglicht den Winzlingen nur Hell-Dunkel-Reaktionen. Offenkundig besitzen nur wenige Arten die Fähigkeit, Konturen und einfache Gestalten zu sehen. Die im Boden lebenden Arten sind meist ganz blind.
Zur Orientierung nutzen die Springschwänze vor allem verschiedene Hautsinnesorgane, deren Bedeutung noch weitgehend unklar ist. Auf jeden Fall besitzen sie Rezeptoren für verschiedene Chemikalien (»Riechhaare«) und Feuchtigkeit.
Die von Art zu Art recht unterschiedliche Behaarung – manchmal auch Schuppen – hilft bei der Artbestimmung ebenso wie Größe und Form der Fühler. Einer merkwürdig gekrümmten Fühlerform verdankt eine ganze Collembolen-Familie ihren Namen: Die bleigrauen, beschuppten »Ringelhörnler« tragen Fühler, die am Ende schneckenförmig eingerollt sind.
Typische Lebensräume der Springschwänze sind feuchte und häufig dunkle Plätze: auf und in altem, morschem Holz, unter Baumrinde, auf der Wasseroberfläche von Pfützen, in feuchtem Moos, manche Arten auch auf Eis und Schnee. Ihre Nahrung besteht aus zerfallenden und modernden Pflanzensubstanzen, Bakterien, Algen, Pilzen, Exkrementen und Schwebteilchen im Wasser (Detritus).
Über die Lebensweise dieser winzigen Tiere ist nur wenig bekannt. Vor allem möchten Forscher gern mehr über die Wechselwirkungen der Collembolen mit anderen Mikroorganismen des Bodens wissen. Immerhin lebt hier eine ungeheuer große Anzahl kleiner Tiere, deren Existenz mit der ihrer Nachbarn häufig eng verknüpft ist. Nach Schätzungen kommt man bei einem Quadratmeter Wiesenboden, 30 Zentimeter tief, auf beachtliche Zahlen:
• 200 Asseln,
• 400 Ameisen,
• 700 Spinnen,
• 900 Käfer und Käferlarven,
• 900 Zweiflüglerlarven (Fliegen, Mücken),
• 1.800 Vielfüßer (Hundertfüßer u.a.),
• 2.000 Regenwürmer,
• 20.000 Wenigborster,
• 40.000 Springschwänze,
• 120.000 Milben,
• 9.000.000 Fadenwürmer (Nematoden).
Im Garten finden wir Springschwänze vor allem dort, wo auch Asseln1 und Hundertfüßer, Würmer und Käferlarven leben: im Kompost und an feucht-kühlen Ecken unter Sträuchern oder an bemoosten Steinen.
Kulturgeschichte
Liebhaber von Zimmerpflanzen machen gelegentlich ihre eigenen Erfahrungen mit Springschwänzen: Unter warm-feuchten Bedingungen können sich bestimmte Collembolen-Arten gut vermehren. Sie finden sich gern in den Töpfen von Zyperngräsern und anderen Zimmerpflanzen, die in torfhaltigen Substraten kultiviert und sehr feucht gehalten werden. Gießt man diese Pflanzen, kann man eine Vielzahl kleiner, weißlich-grauer Tiere hüpfen sehen: Springschwänze. Den Pflanzen schaden die Collembolen in der Regel nicht, denn sie ernähren sich von den abgestorbenen Pflanzenteilen und fressen kaum lebendes Pflanzengewebe. Fachleute sprechen deshalb auch nicht von »Schädlingen«, sondern bezeichnen sie als »Lästlinge«. Werden die Pflanzen etwas trockener gehalten, verschwinden die Tiere meist rasch wieder.
Eine Springschwanz-Art ist schon lange bekannt und hat es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht: Der Gletscherfloh (Isotoma saltans) ist kein Floh, sondern eines der wenigen Tiere, die auch bei tiefsten Temperaturen überleben. Er ist nicht nur dicht behaart, sondern kann mit Hilfe unterschiedlicher Zuckerarten sein eigenes »Frostschutzmittel« produzieren und hält selbst Temperaturen bis unter -10 °C aus. Wird es allerdings wärmer als etwa +12 °C, stirbt er. Sein Lebensraum sind Wasseransammlungen auf dem Eis von Gletschern und Firnfeldern. Oft findet man ihn auch unter Steinen, die im Eis halb eingefroren sind. Die Nahrung des Gletscherflohs besteht aus angewehten Pollen, Algen, Flechten und Moosen. Damit besetzt das Tier eine ökologische Nische, in der kaum Konkurrenten und Feinde auftauchen. Nur der Gletscherweberknecht, ein Spinnentier, macht Jagd auf diese Collembolen-Art.
Das Wissen über den Gletscherfloh ist noch jung und lückenhaft. Vom 16. Jahrhundert an, als die ersten Berichte über dieses Tier entstanden, bis weit ins 19. Jahrhundert hinein konnte man sich nicht vorstellen, dass Tiere auf Gletschern oder anderen Eisflächen ganzjährig leben können. Damals vermutete man, es müsse sich bei den Lebewesen, die das Eis wie Ruß bedecken, um Würmer handeln, die vom Himmel gefallen sind. Schließlich erkannte man, dass es sich um Springschwänze handelte. Die Bezeichnung »Gletscherfloh« blieb aber bestehen.
Ein naher Verwandter des Gletscherflohs ist der Schneefloh (Isotoma nivalis, Isotoma hiemalis), der auch die Wärme fürchtet. Er ist auf kalte, feuchte Lebensräume angewiesen und bevorzugt humusreiche Wälder. Während er sich im Sommer in tiefere Bodenschichten zurückzieht, kriecht er im Dezember an die Oberfläche und lebt auf Schneeflächen, wo er sich von bestimmten Algen ernährt. Auch diese Art verdankt ihre Bekanntheit der Fähigkeit, aus Eiweiß und Zucker körpereigenes »Frostschutzmittel« erzeugen zu können.
Umweltbildung
So unscheinbar Springschwänze auch sind, so wichtig ist ihre Rolle im Naturhaushalt. Als Tiere, die sich von organischen Resten aller Art ernähren, tragen sie wesentlich zur Verrottung und Humusbildung bei. Diese Funktion, die für unsere Kulturpflanzen sehr positiv ist, verkehrt sich ins Gegenteil, wenn chemische Gifte wie Unkrautvernichtungsmittel (Herbizide) eingesetzt werden und den Bestand an Wildpflanzen verringern. Bei ihrer Nahrungssuche weichen die Springschwänze auf Wurzeln und Triebe der Kulturpflanzen aus und werden erst dadurch zu »Schädlingen«.
Will man Kindern Springschwänze zeigen, bieten sich dafür vor allem zwei Möglichkeiten an: die gezielte Bodenuntersuchung und Ausflüge im Winter und zeitigen Frühjahr.
Nahezu das ganze Jahr über kann man mit Hilfe von Sieben, Lupen und – wenn verfügbar – einem Mikroskop Bodenproben untersuchen. Dabei ist Komposterde oder lockere, humose Walderde am ergiebigsten. Neben Asseln, Spinnen, Würmern und vielen anderen Kleintieren lassen sich bei entsprechender Vergrößerung auch mühelos zahlreiche Springschwänze entdecken, die die für diese Tiere typische Sprungbewegung vollführen.
Die zweite Möglichkeit, Collembolen zu entdecken, ergibt sich an milden Spätwintertagen bei einem Ausflug in den Wald oft ganz nebenbei: An Schneerändern und in flachen Pfützen von Schmelzwasser kommen in dieser Zeit manchmal riesige Kolonien des Schwarzen Wasserspringers oder Wasserspringschwanzes (Podura aquatica) vor. Sein dunkler Körper ist kaum länger als 1 Millimeter, aber er lebt mit seinen Artgenossen häufig in so dichter Gemeinschaft, dass die Tiere die Wasseroberfläche völlig bedecken. Das sieht aus, als würden große, grauschwarze Ölflecken auf dem Wasser schwimmen. Nur wenn man ganz genau hinschaut, kann man erkennen, dass unzählige winzige Tiere eng aneinander sitzen und bei der geringsten Störung »aufspringen«. Auch diese häufig zu findende Collembolen-Art ernährt sich von Bakterien und Algen.
Die Zeit, in der sich Wasserspringschwänze beobachten lassen, ist kurz: Trocknen die Pfützen aus, kommt es zu einem Massensterben, und dort, wo einige Tage zuvor noch Tausende Springschwänze lebten, ist nur ein schwärzlicher Überzug auf dem Erdboden zu sehen.
1 Vgl. Die Assel – gut versteckt und selten allein. Heft 12/06, S. 24
www.stevehopkin.co.uk
Diese Seite enthält Bilder von Springschwänzen. Die Bilder können von Kindergärten und Grundschulen kostenlos genutzt werden. Unter > Collembola Photos klicken.
www.collembola.org
Wer es ganz genau wissen möchte, kommt an dieser Seite nicht vorbei: eine Flut von wissenschaftlichen Informationen über die Springschwänze – in Form von Daten, Skizzen und Fotos.
www.flickr.com
In der Fotodatenbank von flickr (Achtung: Rechte beachten!) finden sich über 1000 Fotos zum Stichwort »Collembola«.
www.youtube.com
Das Videoportal »Youtube« bietet Kurzfilme über die Springschwänze. »Collembola« eingeben.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/08 lesen.