In diesem Jahr wird eine Gruppe von 25 Expertinnen und Experten aus Mitgliedsstaaten der EU (plus Norwegen und Türkei)1 ihre Arbeit am Qualitätsrahmen für »Frühkindliche Bildung und Betreuung« mit einem Vorschlag beenden. Die europäische Arbeitsgruppe, die die Open Method of Coordination (OMC)2 anwendete, soll eine gemeinsame Vorstellung von guter Qualität entwickeln und zur Verbesserung der pädagogischen Praxis beitragen.
Ein zentrales Anliegen der EU ist es seit Jahren, alle Mitgliedsstaaten bei der Qualitätsentwicklung zu unterstützen. Die Arbeitsgruppe entwickelt Qualitätskriterien zu verschiedenen Aspekten der frühkindlichen Bildung und versucht zu beschreiben, was unter guter Qualität zu verstehen ist. Dabei berücksichtigt sie auch die unterschiedlichen Hintergründe, vor denen die Kriterien in Europa angewendet werden. Im »Qualitätsrahmen« sollen die Mitgliedsstaaten ihre Entwicklungsschwerpunkte bestimmen und sie Schritt für Schritt umsetzen.
Ursprünglich war die Politik der EU darauf gerichtet, mehr Plätze in der frühkindlichen Bildung und Betreuung zu schaffen, um Eltern (Frauen!) besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Inzwischen hat man erkannt, dass die Angebote auch für die Bildung und das Wohlbefinden der Kinder wichtig sind. Auf Europaebene wurde das Thema »Qualität« nie zuvor aus dieser Perspektive systematisch bearbeitet. Nun besteht das Ziel einerseits darin, Bildung und Betreuung als untrennbare Bestandteile darzustellen, und andererseits die Frage der Verfügbarkeit von Plätzen als Frage der Strukturqualität des Angebots zu verstehen.
Die Entwicklung des Kindes, vor allem sein allgemeines Wohlergehen, ist Gegenstand der Betreuung und Bildung. Die Verantwortung für die Befriedigung der individuellen Bedürfnisse des Kindes beeinflusst die Bildungsanteile – und umgekehrt. Einige Länder sind darin schon weit vorangekommen, in anderen gibt es gute Einzelbeispiele, doch häufig fehlen homogene Strategien für das Gesamtsystem. Die größte Herausforderung auf Europaebene bildet die Definition dessen, was am Ende für die Kinder, ihre Familien und die gesamte Gesellschaft herauskommen soll. Darüber hinaus müssen die dazugehörigen Qualitätsmaßstäbe auf ihre größtmögliche Wirkung hin geprüft werden.
Eine weitere Herausforderung ist die Unterstützung für jedes Land, entsprechende Gesetze und Programme zu entwickeln und einzuführen, denn die Ausgangslagen für Verwaltung und Finanzierung sind in Europa extrem unterschiedlich.
Die Expertengruppe arbeitet seit 2012 zusammen. Sie nutzt die peer learning methodology3, um von- und miteinander zu lernen. Im Mittelpunkt stand die Auswertung ehemals entscheidender Entwicklungsschritte. Fünf Qualitätsfelder wurden definiert:
- Zugang und Verfügbarkeit,
- Fachkräfte,
- Inhalt der Bildungsprogramme,
- Evaluation und Aufsicht,
- Verwaltung und Finanzierung.
Untersucht wurden alle relevanten Materialien aus den beteiligten Ländern und internationale Vergleichsstudien. Die Gruppe besuchte vier Länder, in denen sie die Rahmenbedingungen und die Praxis erkundete:
- Rumänien: Zugang und Verfügbarkeit,
- Ungarn: Inhalt des Bildungsprogramms,
- Irland: Evaluation und Aufsicht,
- Dänemark: Fachkräfte.
Zu diesen Qualitätsfeldern sammelten alle Arbeitsgruppenmitglieder statistische Daten in ihren Ländern. Aus diesen Materialien werden die Schlüsselfaktoren für Qualität herausgefiltert. Der bereits erwähnte Vorschlag für den »Qualitätsrahmen« wird im Abschlussbericht Ende 2014 erwartet.
Neben der Open Method of Coordination gibt es eine Reihe von Werkzeugen, mit denen die Rahmenbedingungen (fach-)politischen Handelns auf Europaebene koordiniert werden können, um die erforderlichen Prozesse auf Länderebene zu unterstützen und die vereinbarten Zeitpläne beim Ausbau der Qualität in der Kindertagesbetreuung einzuhalten. Dazu gehört zum Beispiel die 10-Jahres-Strategie der EU für nachhaltiges Wachstum (Europa 2020) oder für Finanzierungshilfen. Das künftige Förderungsprogramm für das Sachgebiet »Bildung und Ausbildung«, genannt »Erasmus+«, wird Aktivitäten für frühkindliche Bildung, Modellprojekte und Partnerschaften kofinanzieren und für die Verbreitung guter Praxisbeispiele sorgen.
Alle Beteiligten begaben sich engagiert in den Dialog miteinander und mit allen anderen Interessierten, um Synergieeffekte zu erzielen. Die Hauptabteilung für Bildung und Kultur bei der EU-Kommission steht im permanenten Dialog mit vielen Entscheidungsträgern, um sich über frühkindliche Bildung und Betreuung zu beraten. Sie nutzt ebenfalls die Open Method of Coordination.
Das Förderpaket »Soziale Investition für Wachstum und Zusammenhalt«, das im Ressort der Hauptabteilung für Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten entstand, enthält ebenfalls eine »Empfehlung zur Investition in Kindheit« mit der gemeinsam getragenen Leitvorstellung davon, wie Reformen und soziale Innovationen in Gang gesetzt werden können. Die Empfehlung fordert alle Mitgliedsstaaten auf, Synergieeffekte zu erzielen, indem die Bereiche Bildung, Gesundheit, Soziales und Gender-Gerechtigkeit einander ergänzen.4 Die Europäische Union weist die Mitglieder gezielt auf Fördermöglichkeiten hin und regt deren intensive Nutzung an, vor allem im Europäischen Strukturfond (ESF) für Innovationen, Partnerschaften und Forschung.
Im »Europäischen Semester«5 werden die Fortschritte der Länder nach festgelegten Kriterien notiert und analysiert. Die Analysen dienen dazu, den Ländern auf sie zugeschnittene Empfehlungen zu unterbreiten, damit sie sich gezielt entwickeln können. Sie sollten diese Empfehlungen aufgreifen und ihre Prioritäten darauf abstimmen. Im Jahr 2013 nutzten insgesamt 14 Länder solche Empfehlungen für die frühkindliche Bildung und Betreuung.
Die Kommission gab sieben neue Untersuchungen in Auftrag, um die Entscheidungsbasis zu verbessern. Dazu gehören eine Analyse der Zusammenhänge frühkindlicher Bildung mit späterem Schulabbruch6, eine Analyse zu finanziellen Transferleistungen und deren Einfluss auf Kinder7 und eine Analyse zum Thema »Qualität«.8
Auf europäischer und nationaler Ebene lässt sich tatsächlich ein Aufschwung der Reform frühkindlicher Bildung feststellen. Damit einher geht die Chance, echte Fortschritte zu erzielen. Gerade jetzt sollte ein Dialog aller Partner erfolgen, um die Lösungen zu finden, die maßgeschneidert in die nationalen, regionalen und lokalen Zusammenhänge passen und den Interessen von Kindern und Familien bestmöglich dienen. Die Europäische Union ist entschlossen, weiterhin eine wichtige Rolle in diesem Prozess zu spielen.
Nora Milotay ist Referentin für Bildung und Kultur in der Europäischen Kommission.
Achtung: Dieser Beitrag ist nicht identisch mit der offiziellen Position der Europäischen Kommission.
- Siehe Milotay, N.: Die Arbeitsgruppe »Frühkindliche Bildung und Betreuung«. In: Kinder in Europa, Nr. 23
- Mit der open method of coordination (OMC) können die Mitgliedsstaaten ihre jeweiligen Ziele in gemeinsamen Lernprozessen bestimmen und ihre Entwicklungsprozesse mit gemeinsamen Vergleichswerten analysieren. Dazu gibt es regelmäßige Berichte und gleiche Bezugspunkte.
- Experten der Mitgliedsstaaten berichten und vermitteln ihre Erfahrungen mit Gesetzen und anderen Vorgaben. Sie werten aus, vergleichen und erforschen Erfolgsfaktoren, um künftig effektive Entscheidungen zu treffen. Im Ergebnis entstehen Leitfäden für Entscheiderinnen und Praktikerinnen.
- Empfehlung der Kommission vom 20. Februar 2013. Investitionen in Kinder: Den Kreislauf der Benachteiligung durchbrechen. 2013/112/EU
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Die Europäische Kommission hat einen jährlichen Zyklus für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik eingerichtet, das »europäische Semester«. Jedes Jahr nimmt die Kommission eine eingehende Analyse der Wirtschafts- und Strukturreformprogramme der EU-Länder vor und gibt ihnen Empfehlungen für die nächsten 12 bis 18 Monate
Mehr Infos, auch auf Deutsch: http://ec.europa.eu/europe2020/making-it-happen/ - Die Studie ist zurzeit nur in Englisch erhältlich: http://ec.europa.eu/education/news/2014/20140410-study-second-chance-education_en.htm
- Eine wissenschaftliche Studie hierzu ist in Vorbereitung.
- Eine groß angelegte empirische Studie hierzu ist in Vorbereitung.
- Siehe: Early childhood education and care: key lessons from research for policy makers. NESSE, 2009
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa 26/14 lesen.
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