Warum lohnt es sich, das Grundprinzip der Gleichheit und Demokratie von Anfang an durchzusetzen? John Bennett betrachtet die neue Expansion von Kindertagesstätten, welche in der Regel von ökonomischen Zielen gesteuert wird und erläutert, wie Vorstellungen, die sich ausdrücklich an Gleichheit orientieren, einige Mängel dieses ökonomischen Grundprinzips überwinden können.
Auf einer Präsentation vor dem US-Kongress im Jahre 2003 präsentierte Professor Brooks-Gunn Forschungsergebnisse, die zeigten, dass Kindereinrichtungen hoher Qualität die Erfolge und das Verhalten junger Kinder in der Schule positiv beeinflussen. Diese Wirkung ist für arme Kinder und für Kinder, deren Eltern nur eine geringe Bildung haben, am stärksten. Diese Forschungsergebnisse haben für dringend benötigte neue Finanzierungsquellen für die frühkindliche Bildung gesorgt und bewirkt, dass »Risikokinder« inzwischen wieder in den Focus gerückt sind.
Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass das Grundprinzip für einen Großteil dieser Investitionen nicht in erster Linie die Sorge für benachteiligte Kinder ist, sondern sich vielmehr an ökonomischer Effektivität orientiert. Nach dem Bildungsbericht »Tough Choices or Tough Times« (»Harte Wahl oder harte Zeiten«) von Dezember 2006 stehen amerikanische Arbeiter in Konkurrenz mit gut ausgebildeten Arbeitern anderer Länder. Um ihren Lebensstandard zu erhalten, so erklärt der Bericht, muss Amerika seinen technologischen Vorsprung halten und Arbeitskräfte hervorbringen, die über ein höheres Niveau akademischer Kenntnisse verfügen als jetzt und eine Kreativität haben, die sie befähigt, weiterhin innovative Produkte und Dienstleistungen zu erschaffen. Daher die Notwendigkeit, in die frühe Bildung zu investieren!
So weit, so gut. Die meisten Menschen wollen und unterstützen die wirtschaftliche Entwicklung, und wenn die Wirtschaftspolitik benachteiligten Kindern einen besseren Zugang zu frühkindlichen Bildungseinrichtungen (ECEC) ermöglicht – wer könnte etwas dagegen haben? Es könnten jedoch, meine ich, bessere Resultate herauskommen, wenn man noch andere Grundprinzipien hinzufügen würde: die stärkere Betonung der Chancengleichheit für Kinder mit verschiedener Herkunft und für Frauen.
Warum reicht es nicht aus, Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit nur aus ökonomischer Perspektive zu betrachten?
Das Grundprinzip ökonomischer Effektivität stellt die schwachen Leistungen bestimmter Kindergruppen fast ausschließlich in pädagogische Zusammenhänge. Die »Bildungslücke« hat ihre Ursache grundsätzlich, so wird gesagt, in den schlechten Leistungen der Schulen in benachteiligten Gebieten. Es ist klar, dass Unterstützung nötig ist, um die Qualität der Schulen zu verbessern. Aber auch die darunter liegenden Ursachen für die geringen Leistungen müssen in Angriff genommen werden, besonders die Armut selbst. Die Kinderarmut kann ohne eine größere Einkommensgerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft nicht ausgerottet werden. Um die Familienarmut und ihre negativen Folgen für junge Kinder zu reduzieren, muss die Regierung Maßnahmen der Finanz-, Sozial-, Beschäftigungs-, Wohnungs- und Familienpolitik anwenden und solide finanzieren. Ein aktueller UNICEF-Bericht kommt zu dem Schluss, dass »kein OECD-Land, das zehn oder mehr Prozent des Bruttoinlandsprodukts in soziale Transfers gibt, eine Kinderarmutsrate hat, die höher als zehn Prozent liegt. Und kein Land, das weniger als fünf Prozent des BIP für solche Transfers verwendet, hat eine Kinderarmutsrate unter 15 Prozent.« (http://www.unicef-icdc.org/publications/pdf/repcard6e.pdf)
Das ökonomische Effizienzmodell hat noch andere Grenzen. Weil allein Effizienz sein Ziel ist, neigt dieses Modell dazu, sich ausschließlich auf pädagogische Techniken zu konzentrieren, die effektives Lernen garantieren. Das führt dazu, dass es die natürlichen Lernstrategien junger Kinder übersehen oder Grundwerte vernachlässigen kann, etwa die Einbeziehung jedes Kindes und den wichtigen Aspekt, dass Kinder es lernen, in Solidarität und Respekt zusammenzuleben. Der Ansatz kann auch die weiteren sozialen Aufgaben von Kindertagesstätten vernachlässigen, nämlich den sozialen Zusammenhalt, die respektvolle Integration verschiedener Bevölkerungsgruppen und die Unterstützung der Familien.
Paradoxerweise sind viele der groß angelegten Programme, die vom Grundprinzip der ökonomischen Effizienz ausgingen, unterfinanziert. Es werden zwar Anstrengungen unternommen, aber das durchschnittliche finanzielle Wachstum in Programmen für Risikokinder mit der Gefahr des Bildungsversagens ist gering – wenn es überhaupt existiert. Allgemein geben Regierungen, die zielorientierte Programme für besonders wichtig erklären, weit weniger Geld dafür aus als Regierungen, die die allgemeine Zugänglichkeit der Einrichtungen betonen. (Der »Starting-Strong-II«-Bericht zeigt öffentliche Ausgaben für ECEC-Einrichtungen in Großbritannien und den USA, die bei 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder noch weniger liegen – verglichen mit einem Prozent in Frankreich und mehr als 1,5 Prozent in den skandinavischen Ländern.)
Stattdessen wird die Finanzierung in diesem Modell eher in andere ökonomische Bereiche oder in die höhere Bildung gelenkt, zu der weniger Kinder mit schwachem sozial-ökonomischem Hintergrund Zugang haben. Was die Lücke noch mehr vergrößert, ist die Tatsache, dass die Tagesstätten, die die Kinder der Mittelklasse besuchen, allgemein besser finanziert und ausgestattet sind.
Welche Gewinne könnte das Grundprinzip der Chancengleichheit bringen?
Die Perspektive der ökonomischen Effizienz hat zwar zur Entwicklung von Kindereinrichtungen beigetragen, diese Einrichtungen vom Standpunkt der Gleichheit aus zu betrachten, könnte sie jedoch für benachteiligte Kinder weiter verbessern. Das würde Fragen deutlich machen und Antworten geben, die in der einfacheren ökonomischen Perspektive übersehen werden:
- Warum ist es für Kinder aus benachteiligten Familien schwer, Zugang zu Kindertagesstätten zu bekommen? Der »Starting-Strong«-Bericht der OECD, der die Einrichtungen für junge Kinder in 20 Ländern untersucht hat, stellte fest, dass in vielen Ländern gerade die Familien mit doppeltem Einkommen, in denen beide Eltern berufstätig sind, vorrangig Plätze in Kindereinrichtungen bekommen. Die Perspektive der Gleichheit würde dafür sorgen, dass man auf örtlicher Ebene die Kinder mit besonderem oder zusätzlichem Förderbedarf an erster Stelle bei der Vergabe der Plätze in den Einrichtungen berücksichtigen würde. Diese Herangehensweise würde auch die Zugangsbarrieren beseitigen, die sich aus der Verschiedenheit und Ungleichheit ergeben. Und sie würde garantieren, dass bedeutende zusätzliche finanzielle Mittel für Einrichtungen für benachteiligte Kinder zur Verfügung gestellt würden: Denn Gleichheit ist nicht genug!
- Warum lernen Kinder mit bestimmtem ethnischem Hintergrund in den Einrichtungen für die frühe Kindheit und später in der Schule weniger als andere? Die Gründe dafür sind vielfältig. Aber guter Kontakt zu Eltern und Gemeinden, ein früher Start in den Kindereinrichtungen, eine Pädagogik, die sensibel für Verschiedenheit und Vielfalt ist und fortlaufende pädagogische Unterstützung während des Schuljahres helfen diesen Kindern, wie sich herausgestellt hat, gute Ergebnisse zu erreichen. Ohne Respekt vor der Verschiedenheit und intensive Unterstützung während ihrer ganzen Bildungskarriere können junge Kinder leicht entmutigt werden, ihr Selbstbild und ihre Motivation können darunter leiden.
Warum reicht es nicht aus, die Gleichstellung der Geschlechter nur aus ökonomischer Perspektive zu betrachten?
Seit den 70er Jahren sind Frauen in noch größerer Zahl berufstätig. Dieser Wechsel wurde verstärkt durch die Transformation der Industrieländer zu Ökonomien, die auf Dienstleistungen beruhen und eine hohe Zahl von Beschäftigten im Vergleich zur Bevölkerungszahl brauchen, wenn Wachstum und Wohlstand erhalten werden sollen. Heute werden Frauen auf dem Arbeitsmarkt eher noch mehr gebraucht, da sie durch ihren höheren Bildungsstand und ihre vergleichsweise schlechtere Bezahlung wesentlich zu den Volkswirtschaften beitragen. Eine neue Bewertung der britischen Regierung zeigt beispielsweise, dass die Arbeit von Frauen zurzeit 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Großbritannien und rund 40 Prozent in Dänemark und Schweden erbringt. (Unbezahlte Arbeit im Haus dabei nicht mitgerechnet.)
Die sich verändernde Stellung der Frauen hat wesentlichen Einfluss darauf, wie Kinder aufwachsen. Die Regierungen haben auf diese Tatsache reagiert, indem sie mehr »Plätze« in den Kindertagesstätten geschaffen haben, wenn auch manchmal ohne ausreichende Regulierung und Finanzierung und ohne das Ziel, ein öffentlich getragenes System aufzubauen. So sind die Frauen wegen der Kindergärten in der Lage, ihre beruflichen Karrieren fortzusetzen und am ökonomischen und gesellschaftlichen Leben in einem Ausmaß teilzunehmen, das man in der Vergangenheit nicht kannte. Auf den ersten Blick scheint diese Entwicklung, die von einem ökonomischen Grundprinzip gesteuert wurde, die Chancengleichheit für Frauen verstärkt zu haben. Doch man kann auch hier argumentieren, dass es mit dieser Herangehensweise nicht gelungen ist, volle Gleichberechtigung herzustellen.
Die zunehmende Berufstätigkeit der Frauen trägt zu größerer Gleichstellung der Geschlechter bei. In der Europäischen Union verdienen die Frauen jedoch nur etwa 80 Prozent der Gehälter der Männer – obwohl die Frauen im Allgemeinen besser qualifiziert sind. Der Unterschied ist bei hoch bezahlten Stellen wie im Geschäftsleben, in der Medizin oder in der Justiz geringer, aber in diesen Bereichen erleben die Frauen immer noch das Phänomen der »gläsernen Decken«. Auf niedrigeren Stufen der Qualifikationsleiter wird der Unterschied zwischen dem Einkommen von Männern und Frauen größer.
Ein zweiter Mangel, wenn man die Arbeit der Frauen nur unter ökonomischer Perspektive betrachtet, besteht darin, dass die Abschiebung der Frauen in unbezahlte oder schlecht bezahlte Bereiche verstärkt wird. In den heutigen Dienstleistungsökonomien findet man Frauen immer häufiger in den Bereichen, die man im englischen Sprachraum als die vier Cs kennt: Cleaning, Catering, Caring und Cashiering (Putzen, Gastronomie, Pflege und Verkauf). Die Arbeit in diesen Bereichen ist meist weiblich und schlecht bezahlt. Nicht zuletzt in der Betreuung junger Kinder, wo 95 Prozent der Beschäftigten Frauen sind.
Der Anteil von Frauen in Teilzeitarbeit ist oft drei- oder viermal größer als bei Männern. Und dieses Verhältnis wächst noch, wenn man Frauen mit kleinen Kindern betrachtet. Wenn die Teilzeitarbeit während der Phase der Kindererziehung fortgesetzt wird, hat sie einen bedeutenden Einfluss auf die Karriere, die Rente und das lebenslange Einkommen der Frauen – und damit auf das Wohlbefinden der Familie. Hinzu kommt, dass viele Teilzeitstellen für Frauen nicht regulär oder marginal sind, das heißt, es handelt sich um gelegentliche Teilzeitjobs, die auf Pauschalbasis bezahlt werden und nicht sozialversicherungspflichtig sind.
Schließlich ist die Versorgung mit Kindereinrichtungen oft nicht ausreichend, wenn die frühkindliche Betreuung- und Bildungspolitik in erster Linie nur von der ökonomischen Perspektive des Arbeitsmarktes gesehen wird – mit dem Schwerpunkt »Kinderbetreuung für berufstätige Mütter«. Auch die Qualität leidet darunter, wenn das Hauptziel nur in »Betreuung während der Arbeitszeit der Eltern« besteht und das Recht des Kindes auf Entwicklung und Bildung keine große Rolle spielt. Die mittelmäßige Qualität der angebotenen Einrichtungen hält das traditionelle Misstrauen gegenüber der Kinderbetreuung außer Haus am Leben und führt dazu, dass die Mütter verstärkt in Teilzeitjobs arbeiten.
Auch das Grundprinzip der Gleichheit wird gebraucht
Wie bei den Einrichtungen für junge Kinder müssen auch hier Programme, die sich ausdrücklich an Gleichheit orientieren, angenommen werden. Ohne einen Werterahmen, der explizit die Gleichstellung von Frauen aus der Sicht der Menschenrechte fordert, werden die Frauen auf dem zweiten Platz hinter den Männern bleiben – wegen ihres Geschlechts und ihrer Rolle bei der Kindererziehung.
Chancengleichheit für Frauen hängt von der Unterstützung der Politik ab. Schweden ist in dieser Hinsicht beispielhaft und hat traditionell die Politik, die frühe Kindheit betreffend, und die Gleichstellungspolitik der Geschlechter miteinander verknüpft. Elternurlaub wird in Schweden gut bezahlt (13 Monate lang 80 Prozent des Einkommens) und umfasst Anreize für Väter, um die Eltern zu ermuntern, die Kinderbetreuung gemeinsam zu übernehmen. Ab dem Alter von zwölf Monaten hat jedes Kind ein Recht auf öffentlich finanzierte Kinderbetreuung in einer Kindertagesstätte, in der Erzieher mit Hochschulabschluss in Teams mit anderen Beschäftigten arbeiten, die eine dreijährige Berufsausbildung mit Abschluss haben. Die Politik unterstützt qualifizierte, gut bezahlte Jobs für Frauen und einen hohen Standard in den Kindereinrichtungen.
Fazit
Das Grundprinzip der ökonomischen Effektivität hat Kindern, Frauen und Kindergärten Vorteile gebracht, es hat jedoch auch klare Grenzen. Der ökonomische Rationalismus neigt dazu, soziale und Bildungsprogramme zu benachteiligen, während das Geschäftsleben, das Militär und andere starke Lobbygruppen innerhalb der Wirtschaft zunehmend subventioniert werden. In den Kindertagesstätten liegt der Schwerpunkt oft auf der Vermittlung von Kompetenzen, die für die Wirtschaft als wichtig erachtet werden – ohne dass parallel dazu ein Schwerpunkt auf demokratische Werte oder auf das gemeinsame Lernen in Solidarität und gegenseitigem Respekt gelegt wird. Weil es an Aufmerksamkeit für die Unterschiede und an finanziellen Mitteln dafür fehlt, liegen junge Kinder mit einer schwachen sozial-ökonomischen und ethnischen Herkunft in ihrer sprachlichen und kognitiven Entwicklung oft weit hinter der Mehrheit zurück, wenn sie in die Schule kommen.
Das Modell der ökonomischen Effektivität vernachlässigt auch die Frauen – es profitiert zwar von ihrer Arbeit, bezahlt die Arbeit der Frauen aber nicht entsprechend ihrem wirklichen Wert. Ein schwacher Arbeitsmarkt und eine schwache Sozialpolitik bewirken, dass viele Frauen in Teilzeitjobs und schlecht bezahlte Stellen im Dienstleistungsbereich abgedrängt werden, auch in der Kinderbetreuung.
Auch das Verständnis zwischen den Völkern wird verschlechtert, da der grundlegende ökonomische Diskurs sich vorrangig auf die Konkurrenz zwischen Nationen und nicht auf die gegenseitigen Vorteile bezieht, die sich aus dem Handel und dem interkulturellen Austausch ergeben. Für Wissenschaftler und Entscheidungsträger auf dem Feld der frühkindlichen Bildung und Erziehung ist die Zeit gekommen, ein Grundprinzip der Gleichheit und Demokratie zu formulieren, um die dominierende ökonomische Herangehensweise auszugleichen.
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