Wie soll man sich einem unbekannten Geschmack und Geruch ohne Vorurteil nähern? Wie sollen wir unseren Sinnen trauen, wenn wir doch wissen, dass sie uns in die Irre führen können? Wie kann man in Grundschulkindern die Begeisterung für ein Bildungsprogramm wecken, in dem es keine Zensuren gibt? Das sind nur einige der Herausforderungen – wie Sara Famiani es beschreibt –, mit denen ein Pilotprojekt von Slow Food an zwei Schulen in Norditalien konfrontiert wurde.
»Jede Schule sollte einen eigenen Gemüsegarten haben. Die Gerichte, die in der Schule serviert werden, sollten aus von den Kindern selbst gezüchtetem Obst und Gemüse bestehen. Wir müssen sie lehren, dass die Bearbeitung des Bodens und das Zubereiten von Nahrung für uns selbst ebenso wichtig sind wie das Lesen, Schreiben und Rechnen. Ich denke, es liegt am öffentlichen Bildungssystem, den Kindern diese wichtigen Werte zu vermitteln.«
Das sind die Worte von Alice Waters, der Besitzerin des legendären Restaurants Chez Panisse im kalifornischen Berkeley. Sie begann das Edile-Schulhof-Projekt 1998 an der Martin-Luther-Juniormittelschule in Berkeley mit dem Ziel, die Herstellung des Essens, das Zubereiten und die Gemeinsamkeit zu fördern.
Das Projekt begann mit der Einrichtung eines Schulgemüsegartens. »Kinder und Lehrer hatten viel Spaß daran, sich die Hände schmutzig zu machen. Sie hatten gar nicht das Gefühl, in der Schule zu sein.«
Es wurde eine ganzheitliche Methode angewendet – mit dem Gemüsegarten, dem Klassenraum und der Kantine, durch die sich das Projekt wie ein roter Faden zog. Der Gemüsegarten der Schule beruhte ursprünglich auf der Idee, dass praktisches Lernen ein großartiger Weg ist, sich Wissen anzueignen. Es gibt keine bessere Möglichkeit zu erklären, dass die Produkte aus dem Gemüsegarten saisonabhängig sind, als direkt damit zu experimentieren, das Wetter zu beobachten und zu verstehen, dass es einen Unterschied macht, ob es nicht regnet oder zu sehr regnet, ob es heiß ist oder ob der Frühling in einem Jahr zu spät kommt. Das alles hat Folgen für den Garten – im Unterschied zum Supermarkt, in dem Gemüse und Obst immer vorhanden sind.
Anbau in Italien
Das Projekt hat sich jetzt auf viele europäische Länder ausgebreitet, es ist jedoch noch nicht zum Teil des formalen Curriculums geworden – vielleicht liegt gerade darin seine Schönheit. In Italien werden Schulgemüsegärten von der Slow-Food-Vereinigung seit 2004 unterstützt. Slow Food wurde vom italienischen Bildungsministerium als Bildungsorganisation anerkannt und ist aktiv an der Ernährungserziehung beteiligt. Dazu gehören seit mehr als zehn Jahren Sinnes- und Geschmackskurse an Schulen in ganz Italien.
Ziel von Slow Food ist es, mit Hilfe der Schulgemüsegärten sehr junge Kinder mit der Kultur des Essens und dem Genuss am Essen vertraut zu machen. Essen, so denkt man bei Slow Food, hat nicht nur mit der Erhaltung des Körpers zu tun, sondern entwickelt durch das Schmecken und Experimentieren auch die sinnlichen Fähigkeiten. Etwas über die Produkte und die Traditionen des eigenen Landes und seines kulturellen Kontextes zu lernen trägt ebenfalls dazu bei. Dazu gehört nicht nur, dass die Kinder Geschmacksrichtungen und Aromen kennen lernen, sondern auch ihren persönlichen Geschmack ausdrücken und nicht einfach den vorherrschenden Ideen darüber, was »gut« ist, zustimmen.
Eine lokale Erfahrung
Diese Grundprinzipien haben die Annahme eines lokalen Bildungsprojekts angeregt und unterstützt – »Die Freude daran, mehr zu wissen« –, gegründet vom örtlichen Tourismusbüro von Friuli Venezia Giulia. In dieser nordöstlichen Region von Italien hat Slow Food im Schuljahr 2004/2005 mit ca. 70 Schulkindern aus drei Grundschulklassen und ihren Lehrern gearbeitet.
Die Ziele des Projekts konzentrieren sich auf die Verbreitung von zwei Ideen. Die erste besteht darin, die Kinder mit dem Boden bekannt zu machen, indem sie die Jahreszeiten im Gemüsegarten und seine Produkte kennen lernen. Die zweite Idee ist, dass die Sinne der Kinder so entwickelt werden, dass sie aktiv werden und eine Reihe weit verbreiteter Vorurteile gegenüber manchen Lebensmitteln überwinden.
Je mehr die beteiligten Kinder Teil der Gesellschaft und einer urbanen Kultur sind, umso wichtiger ist es, dass man ihnen dabei hilft, wieder eine enge Verbindung zur Erde zu knüpfen. Das Wissen, das vor ein paar Generationen noch mündlich vom Ältesten zum Jüngsten weitergegeben wurde, kann wenigstens zum Teil über eigene Erfahrungen in den Schulgemüsegärten erworben werden. Das ist lediglich ein einmaliges Erwerben von Kenntnissen, kann aber eine gute Möglichkeit für den weiteren Erwerb von Wissen eröffnen, auch in den Familien.
Gärten und Spiele
Das Programm an den Grundschulen hat zwei Komponenten: einerseits die Einrichtung und Betreuung des Schulgemüsegartens, andererseits das Spielen von sensorischen Spielen im Klassenraum, die ad hoc erfunden werden, um die sinnliche Entwicklung und Neugier der Kinder anzuregen.
Jeder Klasse wurde ein eigener Gemüsegarten anvertraut, in dem alle Kinder beschäftigt waren, vom Umgraben des Bodens im November bis zur Ernte im Juni. Geduld, Koordination und ein Klima der Beobachtung und Zusammenarbeit waren nötig, um die erhofften Resultate zu erreichen. Die Gemüsesorten (Erbsen, Chicoree, Salat, Zwiebeln, Knoblauch, Rüben) und die Kräuter (Majoran, Rosmarin, Thymian und Salbei), die die Kinder anbauten, wurden beim Kochen und zum Dekorieren der Gerichte verwendet, die sie am Ende des Schuljahrs gemeinsam zubereiteten und aßen. Im Sommer wurden die Gemüsegärten den Kindern und ihren Familien anvertraut.
Sich um ein paar einfache Saaten zu kümmern, die im Laufe des Jahres angebaut wurden, hat aus praktischer Sicht dazu beigetragen, das Bewusstsein der Kinder für bestimmte landwirtschaftliche Zusammenhänge zu wecken, die im täglichen urbanen Leben in der Stadt nicht mehr vorkommen. Gleichzeitig haben die Kinder so den Einfluss des Klimas und der Jahreszeiten kennen gelernt und die Mühe, die beim Bebauen des Bodens aufgewendet werden muss, erlebt. So bekommt die Arbeit im Gemüsegarten ihre Würde und Bedeutung. Das kann eine positive Erfahrung sein, besonders wenn die Arbeit im Team geleistet wird. Zusätzlich entwickelten sich im Laufe des Jahres die Kreativität und die handwerklichen Fähigkeiten der Kinder.
Indem sie den Informationen, die sie über ihre Sinne aufnehmen, mehr Aufmerksamkeit schenken, sind die Kinder imstande, einfühlsamer auf das zu reagieren, was sie essen. Im Klassenraum wurde eine Reihe von »blinden« Verkostungen organisiert, bei denen die Kinder bestimmte Speisen nur durch das Fühlen oder Riechen erkennen sollten. Sie sollten den Unterschied bemerken zwischen dem, was sie schmecken, und dem, was sie nach dem Aussehen der Speisen erwartet hatten. Das ermuntert die Kinder, eine neue Haltung zu bestimmten Speisen einzunehmen, besonders zu Obst und Gemüse, die sie früher abgelehnt haben, nur weil das Aussehen der Früchte oder Gemüsesorten ihnen nicht so verlockend erschien.
Alle Klassen haben Materialien erarbeitet, die man ausgestellt hat und mit deren Hilfe ihre Erfahrungen zusammengefasst wurden. Den größten Teil der Arbeit, die im Klassenraum mit den Lehrern von Slow Food geleistet wurde, setzten die Schulkinder im Unterricht fort. Kinder, die heute den direkten Kontakt mit der Erde genießen, sind morgen fähig, eine Auswahl zu treffen, die auf der Basis von Wissen entsteht, und werden zu verantwortungsbewussten Verbrauchern.
Sara Famiani ist Mitglied des Friuli-Venezia-Giulia-Slow-Food-Teams für Geschmackserziehungsprojekte (Progetti Educazione del Gusto).
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