Vom Zuhören zum Mitspielen und Lernen
Die Aufmerksamkeit auf vertraute und unvertraute Klänge und Geräusche richten und sich von der Wirkung und Wechselwirkung in der Interaktivität mit den Kindern überraschen lassen, ist gelebter Alltag in Anke Waldorfs Kindertagespflege im rheinland-pfälzischen Vallendar. Sie weiß, dass wir mit einem inneren Gefühl für Rhythmus geboren werden und es nur mit Begeisterung gelingt, dieses zu bewahren und zu fördern.
Laute, leise und schräge Töne bereichern den Alltag meiner Kindertagespflegestelle, seit ich mich mit Mitte Fünfzig entschloss, ein Musikinstrument zu lernen. Meine Wahl fiel auf das Cello, ein Streichinstrument mit dem ich noch keine Erfahrungen hatte. Keine guten, aber vor allem auch keine schlechten, wie mit der Geige. Auf sie war mir die Lust durch den strengen Unterricht in jungen Jahren gründlich vergangen. Der Satz »Sobald die Pflicht ruft, meldet sich die Begeisterung ab« des Musikers und Bildungsexperten André Stern in seinem Buch »Begeisterung. Die Energie der Kindheit wiederentdecken« traf bei mir den Nagel auf den Kopf. Die Begeisterung für Musik, so schreibt er an derselben Stelle, »gehört zu den intimsten und zerbrechlichsten. Sobald sie sich in Arbeit verwandelt, verschwindet sie.« Mit diesem neuen Wissen spiele ich das Cello seit einem halben Jahr und meine Begeisterung kommt ungebremst auch bei den Kindern an.
Zuhören
Zu meinem neuen Modus des Musikmachens gehört unter anderem, dass ich Cello übe, wann und wie mir danach ist. So kann es sein, dass ich das Cello raushole, wenn meine zur Zeit vier ein- bis dreijährigen Tageskinder da sind. Ich habe den Eindruck, sie spiegeln mir unmittelbar zurück, ob ich beim Spiel mit mir und gleichzeitig mit dem Instrument verbunden bin. Denn dann scheinen sie besonders aufmerksam zu lauschen – fast ein bisschen gebannt. Vielleicht wie beim Rattenfänger von Hameln. Der scheint mir auch ganz bei sich gewesen zu sein und dennoch bzw. wahrscheinlich gerade deshalb, fühlten sich die Kinder magisch zu ihm und den Klängen seiner Flöte hingezogen. Das Wunderbare an den kleinen Zuhörer:innen ist, dass sie noch nicht werten und einfach offen sind für die Klangwelt, die sie von mir geschenkt bekommen. Wenn mal ein sogenannter schiefer Ton dabei ist, scheint sie das nicht zu stören. So schulen die Jüngsten ihre Konzentrationsfähigkeit und ihr Rhythmusgefühl, und ich lerne von ihnen, offener für mein Spiel zu werden und einfach Spaß daran zu haben. Um diese Wirkungen zu erzielen, muss es kein Cello sein. Wir erreichen dasselbe mit der Blockflöte, die viele von uns noch aus der Schulzeit in der Schublade liegen haben, oder beim Singen, was zusätzlich das Sprachgefühl und den Wortschatz der Kinder schult. Ich bin stets wieder fasziniert, wie gut Kinder hören und wie aufmerksam – nicht nur wenn sie konzentriert meinem Spiel lauschen, sondern auch, wenn wir draußen unterwegs sind und sie trotz aller Ablenkung durch das, was sie am Weg entdecken, meist viel früher als ich nach einem sich nähernden Flugzeug oder Taubenschwarm Ausschau halten.
Mitspielen
Zum Musizieren oder Musikhören – mal querbeet Kinderlieder oder ruhige Klas- sik zur Entspannung und stimmungsmäßigen Vorbereitung auf den Mittagsschlaf – haben wir keine festen Zeiten. Eher nach Lust und Laune räumen wir die Spielsachen beiseite, legen unsere runde Decke auf den Boden und einige Instrumente aus dem Musikregal darauf. Das Mitmachen ist immer freiwillig. Jedes Kind kann sein Spiel fortsetzen oder zu uns auf die Decke kommen und sich unserem Spiel oder einem der Instrumente zuwenden. Zurzeit sind die Klanghölzer bei den Kindern angesagt. Sie sind auch tatsächlich sehr einfach in der Anwendung. Es reicht, sie aneinanderzuschlagen, um einen Ton zu erzeugen. Manchmal beginne ich mit dem Singen eines Liedes, wie »Backe, backe, Kuchen« oder »Lasst uns in die Werkstatt gehen«, und schon schlagen sie begeistert drauf los und singen, soweit ihr Wortschatz das schon hergibt, mit. Oft denke ich dann an die Worte meiner Cello-Lehrerin, dass zwar jede:r Taktgefühl entwickeln kann, es uns bis zum dritten Lebensjahr jedoch besonders leicht fällt, weil wir da noch die Erinnerung an den Herzschlag im Körper präsent haben. Von ihr erfuhr ich auch, dass Kinder von Rhythmusinstrumenten wie Rasseln, Schellen oder Rhythmuseiern besonders profitieren, wenn wir ihnen in jede Hand eins geben. Man kann förmlich sehen, wie dann der Rhythmus ihren gesamten Körper bewegt und umgekehrt ihr gesamter Körper die Rhythmusinstrumente bewegt.
Anke Waldorf arbeitete an der Theologischen Hochschule in Vallendar am Empfang. Nach dem Tod ihres Mannes gründete sie ihre Kindertagespflegestelle, weil sie sich eine Arbeit wünschte, die sie mehr erfüllt und ihr zugleich mehr Zeit mit den eigenen Kindern ermöglichte. Dass die Tätigkeit als Tagespflegeperson derart vielfältig und abwechslungsreich ist und sie zudem inspiriert, ein gänzlich neues Musikinstrument zu lernen, hätte sie anfangs nicht gedacht.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/2023 lesen.