Zum Fachtag Kita und Partizipation in Cottbus
Ein Fachtag der Stadt Cottbus/Chóśebuz und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) zum Thema Kita & Partizipation lockte unsere Redakteurin Jutta Gruber nach Cottbus. Hier trifft sie nicht nur den Pädagogen Gerd E. Schäfer, sondern lernt auch Regina Grafe, Leitung der AWO Integrationskita Sonnenblume im Cottbusser Stadtteil Neu- Schmellwitz, kennen.
Es ist früher Morgen, als mich die Straßenbahn in den Norden von Cottbus bringt. Je näher die Endhaltestelle rückt, umso stärker zieht mich die Umgebung in ihren Bann. Mehr oder weniger sich selbst überlassene Grünflächen ziehen vorüber, Wohnblocks vergessener Zeiten und Straßen und Wege, auf denen man kaum ein Auto und überraschend wenige Menschen sieht. Am Ende sitzt außer mir nur ein älteres Ehepaar in der Bahn. An der Haltestelle mit dem Hinweisschild »Neu-Schmellwitz. Hier nur Ausstieg« steige ich aus und schaue mich um. Das Ehepaar folgt meinem Beispiel erst, nachdem ich es darauf aufmerksam mache, dass die Fahrt hier vermutlich für niemanden weitergeht. Ich bin jetzt sicher, dass auch sie hier fremd sind, und froh, mich nicht allein orientieren zu müssen. Zunächst geht es für uns in dieselbe Richtung, doch schon bald trennen sich unsere Wege. Ihrer führt zu einem nahgelegenen Autohaus und meiner vorbei an vereinzelt aufgehübschten oder zwecks Modernisierungsmaßnahmen verhüllten Häuser- fassaden, einem verwaisten Kraftsportstudio und einem Zeitungsautomaten mit einem Stapel Welt am Sonntag vom Vortag. Olaf Scholz auf dem Titel und die Schlagzeile »Sein Plan für Deutschland« scheinen hier nicht zu interessieren.
Plan für Deutschland?
Wenige Minuten später stehe ich im Eingangsbereich der AWO Integrationskita Sonnenblume. Zwei Jungs sausen johlend und barfuß an mir vorbei, geradewegs in den Garten. Intuitiv finde ich die Tür zum Büro, in dem Kitaleitung Regina Grafe und ihr Stellvertreter Oliver Zierdt bereits zusammensitzen, um die Eindrücke vom Fachtag Kita & Partizipation 2023 im Stadthaus Cottbus, auf dem wir uns zwei Tage zuvor kennengelernt hatten, auszuwerten. Dass die Veranstaltung gut besucht war »und zwar auch von Fachkräften, die ihren freien Samstag dafür opferten«, spräche für großes Interesse am Thema. Dem Bedeutungsgehalt des Fachtages Rechnung tragend, seien hin- gegen bedauerlich wenige Vertreter:innen auf Trägerebene anwesend gewesen. »Es wird in den Gremien der Zusammenarbeit öffentliche und freie Träger zu fragen sein, wie es in Zukunft besser gelingen kann, Fachtage dieser Art zu einer gemeinsamen Aktivität werden zu lassen.« Die von der Stadt Cottbus/Chóśebuz und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus- Senftenberg (BTU) ausgerichtete Veranstaltung mit expliziter Einladung zum Austausch mit Vertreter:innen aus der Praxis sei etwas wirklich Neues und dringend Notwendiges. »Nur gemeinsam können wir unserem Anliegen für mehr Partizipation politisches Gewicht verleihen und Entscheidungen vermeiden, die fern der Lebenswelten von Familien und wissenschaftlicher Erkenntnisse zu frühkindlichen Bildungsprozessen getroffen werden.«
Lebenswelten berücksichtigen
Eine solche scheine die aus dem schulischen Kontext hervorgegangene 30-Prozent-Klausel zu sein, die besagt, dass in einer Einrichtung maximal 30 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben dürfen. »Bei uns sind es 65 Prozent.« Eine Verteilung der Kinder auf alle Einrichtungen der Stadt widerspräche dem lebensweltlichen Kontext, da im direkten Wohnumfeld der Kita etliche Familie mit Migrationsgeschichte leben. »Warum sollen sie täglich weite Wege bewältigen – für Familien mit vielen Kindern ist das kaum machbar –, während sie unsere Einrichtung fußläufig erreichen können? Weil sie einen Migrationshintergrund haben?« Diese angeblich gerechte Verteilung sei eine Diskriminierung der betroffenen Familien, weil es deren Recht auf freie Wahl des Wohnortes und der Kita aushebelt. Die angedachte gerechtere Verteilung und damit die Einschränkung des Wahlrechts der Eltern führe auch nicht zwangsläufig zu einem anderen Wahlverhalten der Familien ohne Migrationsgeschichte. »Wir wünschen uns, dass das Kitaplatzangebot dem Bedarf der Kinder folgt und Kitaplätze inklusiv wohnortnah den konkreten Bedarf erfüllen – ohne Quotenregelung, aber mit einer besseren Personalausstattung, wo Lebenslagen benachteiligen.«
Regina Grafe ist Kindheitspädagogin B.A. und leitet seit 20 Jahren die 1988 im Cottbusser Ortsteil Neu-Schmellwitz gegründete und 2002 in die Trägerschaft der AWO RV Brandenburg Süd e.V. übernommene Kita Sonnenblume. Sie war eine der Referent:innen des von der Stadt Cottbus/Chó- śebuz und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) ausgerichteten Fachtages für Kita & Partizipation am 16. September 2023 – Informationen dazu auf www.b-tu.de/fg-erziehungswissenschaften/fruehe-kindheit/fachtag-partizipation-2023 (25.09.2023). Als Impulsgeberin für den Strukturwandel in der Lausitz startete die BTU etliche innovative Studiengänge, einen davon für Frühkindliche Bildung mit Lehrveranstaltungen zu einer neuen Kultur des Lernens, die sich u.a. an den Konzepten der Reggio-Pädagogik und des Pädagogen Gerd E. Schäfer orientiert. Leiter des Studienganges ist Matthias Kleinow, der den Fachtag im Sinne der Verzahnung von Theorie und Praxis mitkonzipierte und durchführte. Auf www.b-tu.de/fg-erziehungswissenschaften/fruehe-kindheit (25.09.2023) finden sich neben Informationen zum Studiengang auch frei zugängliche Beiträge zu Kultur des Lernens sowie ein Vortrag Über Bildung, Beteiligung und Resonanz von Gerd E. Schäfer.
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Bilder: Jutta Gruber
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 09-10/2023 lesen.