Ästhetisches Forschen im MiniFilmclub
Was haben Tusche, Federn, Taschenlampen, Folienstifte, Overheadprojektor, Stille, bunte Folien, Steine, Daumenkinos und die wirbelnde Jazzmusik der 1930er-Jahre mit Film zu tun? Susanne Brauer vom DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum zeigt Kinder auf der Suche nach einer Antwort, in der Kunst, Film und Kita gemeinsam vorkommen.
Leo und Jana liegen auf der Empore des Kinos in ihrem Heimatort. Sie linsen zwischen Handlauf und Geländer hindurch, reden und kichern und beob- achten aufgeregt das Treiben unter ihnen im Foyer. Zum ersten Mal sind sie mit ihrer Gruppe von acht Kindern im Kino: zum Start des MiniFilmclubs. Doch noch wird kein Film geschaut, sondern die Kinder erkunden zusammen mit ihren ErzieherInnen und der Filmvermittlerin den neuen Ort Kino.
Sie schauen in alle Ecken, öffnen alle Türen, sprechen mit den Menschen dahinter und lernen deren Arbeitsplätze kennen. Highlight ist der Keller: Eine steile Treppe führt nach unten in einen mit Graffiti geschmückten Gang. Hier lagern nicht nur Getränkekisten und durchgesessene Kinosessel, hier war- ten nicht nur die Außenbestuhlung und Sonnenschirme auf den Sommer. Auch Geschichten wollen entdeckt werden, z.B. im Lager, das mit alten Filmrollen, Plakaten und ausrangierten Maschinen vollgestopft ist.
Was der große Apparat da wohl ist? »Ein Lichtwerfer!«, ruft Ben und fingert an den herausstehenden Drähten herum, umrundet den Projektor, stellt Vermutungen an, wie er funktionieren und was daran kaputt sein könnte. Ein anderes Kind findet am Türrahmen einen dicken Strich: Ob da jemand seine Größe notiert hat? Es ist viel spannender – hüfthoch standen die Regale hier einmal unter Wasser. Bei einem Hochwasser musste das ganze Kinoteam die archivierten Filmrollen aus dem Keller retten. Noch bevor das Licht ausgeht und die Vorstellung beginnt, gibt es im Kino viel zu entdecken. Und im MiniFilmclub sollen die Kinder entdecken – überall die Nase hineinstecken, alles mit wa- chen Sinnen wahrnehmen, Fragen stellen, viel ausprobieren und ihre Neugierde und ihren Forscherdrang ausleben.
Ein Club für Kinder in ganz Deutschland
Der MiniFilmclub ist ein Format frühkindlicher kultureller Bildung des DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt am Main, bei dem Kita-Gruppen die Ausstellung und das Kino er- kunden, kurze Filme sehen und dazu kreativ werden. Seit 2013 entwickelt ein Team aus FilmvermittlerInnen des DFF und pädagogischen Fachkräften des kooperierenden Frankfurter Kita-Trägers Sozialpädagogischer Verein zur familienergänzenden Erziehung e.V. den Mini- Filmclub kontinuierlich weiter. Längst hat der Club die Stadtgrenzen hinter sich gelassen. Inzwischen sind Kinder aus ganz Deutschland dabei: aus Berlin, Potsdam, Bochum, Nürnberg, bald auch aus weiteren Städten. Gefördert von der Robert-Bosch-Stiftung im Programm »Kunst und Spiele« und durch die Kulturstiftung des Bundes kommt der Club bundesweit in die Kinos – auch in Häuser ohne eigene filmhistorische Sammlung.
Ästhetische Forschung für Kinder
Ästhetische Forschung ist ein kunstpädagogisches Konzept, das meist im Schulbereich angewendet wird. Prof. Dr. Helga Kämpf-Jansen eignet sich 2001 den Begriff für ihr innovatives Konzept ästhetischer Bildung an: »Alles kann Gegenstand und Anlass ästhetischer Forschung sein. Am Anfang kann eine Frage stehen, ein Gedanke, ein Gegenstand, eine Pflanze, ein Tier, ein Phänomen, ein künstlerisches Werk, (...) ein Begriff, ein Sprichwort u.a.m.«1 »Ästhetische Forschung (...) bedient sich aller zur Verfügung stehenden Verfahren, Handlungsmöglichkeiten und Erkenntnismöglichkeiten aus den Bereichen der Alltagserfahrung, der Kunst und der Wissenschaft. Sie ist prozessorientiert und hat doch Ziele. (...) Sie knüpft an Bekanntes an und führt zu individuell Neuem, sie ist intensiv und erreicht in gelungenen Momenten Formen des Glücks (Flow). (...) Die sich darüber ausbildenden Fähigkeiten, Erkenntnis- und Verhaltensmöglichkeiten sind vielfältig. (...) Sie verändern alte Denkgewohnheiten und Handlungsmuster, vergrößern das Repertoire der Zugänge ins z.T. vorher Unvorstellbare.«2
In der Grundschule können Kinder sich mit einer selbstgewählten Frage beschäftigen, die Bezug zu ihrer Lebenswelt hat und ihr persönliches Interesse widerspiegelt: Kann man Töne sehen? Sprechen Pflanzen? Was passiert, wenn ich mein Brot nicht esse? Aus Alltagserfahrungen, Kunst, Wissenschaft und ästhetischer Praxis sammeln sie Material dazu, sprechen mit ExpertInnen und forschen an unterschiedlichsten Orten: in Kulturinstitutionen, im öffentlichen Raum, in der Schule und im privaten Umfeld. Sie suchen verschiedene Perspektiven auf das Thema, experimentieren und verknüpfen alle gefundenen Informationen. Sie bereiten die Materialsammlungen künstlerisch auf und finden Präsentationsformen.
Schließlich präsentieren sie ihr Forschungsergebnis und teilen es mit anderen, ernten Wertschätzung. Abschließend reflektieren alle den Prozess. Im Austausch mit Gleichaltrigen und Erwachsenen verwandeln sich Erfahrungen in bedeutsame Lernerlebnisse. Lehrkräfte und PädagogInnen begleiten die SchülerInnen während des Prozesses. Sie forschen mit und dokumentieren, behalten die Ziele und die Qualität des Prozesses im Blick und unterstützen die individuellen Wege. »Denn Ästhetische Forschung ist subjektorientiert: Im Mittelpunkt stehen die Personen, die forschen, sowie deren Erfahrungen und Erkenntnisse. Dies unterscheidet die Ästhetische Forschung von naturwissenschaftlicher oder geisteswissenschaftlicher Forschung. Dieser Fokus auf individuelle Forschungsprozesse und -ergeb- nisse macht Zuschreibungen wie ›richtig‹ oder ›falsch‹ schwierig«, berichtet die Didaktikerin Christina Leuschner.3 Ist das zu anspruchsvoll für Kita-Kinder? Keineswegs!
Susanne Brauer, Dipl.-Psych., Kulturmanagerin und Multiplikatorin für den Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan, ist seit 2017 Teil des Teams der Abteilung Filmbildung und -vermittlung am DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, u.a. als Koordinatorin des Modellprojekts »MiniFilmclub – Filmbildung für Vorschulkinder bundesweit!«
Kontakt
1 Kämpf-Jansen H. (2001): Ästhetische Forschung: Wege durch Alltag, Kunst und Wissenschaft. Zu einem innovativen Konzept ästhetischer Bildung. Köln, S. 274
2 Kämpf-Jansen H. (o.J.): Seminarpapier. Online unter: www.kultur-forscher.de/materialien/ aesthetische-forschung.html
3 Leuschner C. (o.J.): Die fünf Phasen der Ästhetischen Forschung. Online unter: www.kultur-forscher.de
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/2021 lesen.