Wie ein Qualitätsanspruch erfüllt wird
In diesem Jahr verliehen das Bundesfamilienministerium und die DKJS zum ersten Mal einen Kita-Preis. Die Kita »Hanna Lucas« aus Schleswig-Holstein erhielt den zweiten Preis. Gewürdigt wurde die Kita, weil ihr die Beteiligung der Kinder an Entscheidungen wichtig ist, die pädagogischen Fachkräfte sich als Mitlernende und Mitgestaltende verstehen und einfühlsam und kindorientiert Inklusion leben. Wie sich das im Alltag zeigt, erlebte Barbara Leitner.
»Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen Sonnenschein.« Auf Wunsch der Kinder erklingt der Schlager von Nana Mouskouri punkt 9 Uhr in der Früh in der AWO-Kita »Hanna Lucas« in Wedel. Das ist das Signal für die 85 Mädchen und Jungen des Hauses sich wie jeden Morgen für zehn Minuten zur Vollversammlung zu treffen. Die Kinder und ihre ErzieherInnen und auch einige Eltern nehmen in einem Kreis in der Mitte des ellenlangen Flures auf Decken und Tüchern Platz. Eine Fünfjährige mit Pagenschnitt hilft heute der Erzieherin Verena bei der Moderation. Das Mädchen wünscht sich, dass alle gemeinsam das Lied »Bruder Jacob« singen. Und auch für den Gast wird ein Begrüßungslied angestimmt. Dann werden besondere Angebote des Tages vorgestellt. An diesem Mittwoch können die Vorschulkinder z.B. mit einer Erzieherin auf Schatzsuche in die Umgebung der Kita gehen. Eine andere Erzieherin kündigt eine Abstimmung an. Alle Kinder und Erwachsenen werden gemeinsam entscheiden, was mit dem Preisgeld des Kita-Preises geschehen soll. Eine Pinnwand wird in die Runde gezogen.
Darauf sind auf weißen Blättern Fotos sowie die Bezeichnungen der Gegenstände zu sehen, die sich die Kinder gewünscht haben: ein Waffeleisen, ein Kinderherd, Bettchen für die Krippe oder eine Musikbox. In der Laudatio bei der Verleihung des Kita-Preises wurde unter anderem gewürdigt, dass in Wedel die Beteiligung der Kinder an Entscheidungen großgeschrieben wird. In der Kita gibt es einen Kinderrat und die Erwachsenen haben festgelegt, die Kinder an den sie betreffenden Entscheidungen immer zu beteiligen. Auch bei Anschaffungen für die Kita reden die Kinder mit, also auch jetzt darüber, was mit dem Preisgeld geschehen soll. Vor der Abstimmung hatten die Kinder bereits ihre Wünsche gesammelt. Diese sind auf den Bildern zu sehen. Von den 10.000 Euro könnte das Team vermutlich alle Wünsche erfüllen.
»Uns ist es wichtig, dass die Kinder sehen, wie Entscheidungen getroffen werden und dass sie erleben, dass sie Einfluss auf die Dinge haben«, erklärt Andrea Rump, die Leiterin der Kita ihr Vorgehen. Und so werden alle Kinder und alle Erwachsenen im Haus in den kommenden Tagen mit einem Klebepunkt ihre Stimme für ihren Wunschgegenstand abgeben.
Jedes Kind wird gesehen
»Wir sehen jedes Kind, so wie es ist und begleiten es in seiner Entwicklung«, erklärt die Kitaleiterin den Anspruch ihres Hauses. In den zurückliegenden 25 Jahren hat das Team Strukturen geschaffen, die das möglich machen. In der Kita wird offen gearbeitet. Zwar gehören alle Kinder einer Bezugsgruppe an, den Tag aber verbringen sie nach ihrem eigenen Interesse im Rollenspiel- oder Bauraum, im Atelier, der Lernwerkstatt, dem Bewegungsraum oder in der Holzwerkstatt.
Die Kita wurde 1993 für die doppelte Anzahl an Kindern gebaut. Weil das Team viele Kinder mit Förderbedarf aufgenommen hat und inklusiv arbeitet, sind es heute nur 85 Kinder, die betreut werden. Viele von ihnen stammen aus belasteten Familien, einige haben Fluchterfahrungen und nicht wenige zeigen ein auffälliges Verhalten. Mit den Eltern dieser Kinder treffen die Fachkräfte frühzeitig Vereinbarungen über eine besondere Förderung. Dafür bekommt die Kita zusätzliche Personalressourcen, damit dort wirklich inklusiv gearbeitet werden kann. Gleichzeitig schafft sich das Team durch die offene Arbeit Freiraum. Während eine Fachkraft die Aktivitäten in dem Raum begleitet, kann eine andere beobachten, sich einem Kind gezielt zuwenden, mit Eltern sprechen oder dokumentieren.
Die Kinder sind Akteure ihres Tages
Die Fachkräfte trauen allen Kindern zu, ihren Alltag eigeninitiativ mitzugestalten. Am Morgen entscheiden sich die Mädchen und Jungen, bei welchen Angeboten oder Projekten sie teilnehmen wollen. Mit ihrem Button mit einem Foto von ihnen an der Magnettafel in ihrer Bezugsgruppe melden sich die Kinder ab. Dann steht ihnen das gesamte Gelände der Kita offen. Im Garten spielen vier Kinder Mutter-Vater-Kind, alle ohne Mütze, ein Mädchen mit offener Jacke. Eine ErzieherIn ist nicht zu sehen. Auch im Flur auf der Kletteretage mit Rutsche, Bällebad und Guckfenstern spielen einige Kinder, ganz vertieft in ihr Tun. Sie kennen die Regeln und diese sind in jedem Raum noch einmal visualisiert. Eine davon lautet: Hilfe holen, wenn sie benötigt wird. »Oft haben die Kinder auch ein Zertifikat, dass sie allein in einen Raum dürfen«, beschreibt die Kitaleiterin den Alltag in ihrem Haus. »Die Kinder legen eine Prüfung ab, wo sie zeigen können, wie man sich in diesem Raum verhält. Dann können wir ihnen vertrauen und sie sich selbst auch.«
Schon bei der Anmeldung ihres Kindes erfahren die Eltern, dass die Kinder hier die Akteure ihres Alltags sind und vieles selbst bestimmen. »Wir machen nicht alles, was die Eltern wollen«, betont Andrea Rump. Ein Kind muss nicht unbedingt eine Mütze aufsetzen, weil die Eltern das so gerne hätten. »In solchen Situationen fragen wir das Kind, wie wir die Sache klären, damit die Interessen beider gewahrt werden. Wir gehen immer in einen Dialog mit den Kindern.
AWO Kindertagesstätte »Hanna Lucas«, Wedel, Schleswig-Holstein
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Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/18 lesen.