Begegnung mit dem Erstplatzierten
In diesem Jahr wurde zum ersten Mal der Kita-Preis vergeben, eine Auszeichnung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung in Partnerschaft mit weiteren Stiftungen. Den ersten Preis gewann das Familienzentrum Ludwig-Uhland-Straße in Maintal. Barbara Leitner besuchte es.
Der Weg zum Familienzentrum gleicht einer Sozialraumanalyse: Vorbei an einer Autobahnauffahrt und einem Gewerbegebiet gelangt man in ein vor über vierzig Jahren entstandenes Wohngebiet. Dort drängen sich Ein- und Mehrfamilienhäuser mit Brunnen und Löwenskulpturen im Vorgarten dicht an vielgeschossige Hochhäuser. Einige davon warten offensichtlich schon länger auf eine Sanierung. Vor den Häusern befinden sich kleine Buden, wo Wurst, Bier und Schnaps verkauft wird und die schon am Morgen belebt sind. »Hierher ziehen Familien, wenn sie neu nach Deutschland kommen. Isoliert leben sie im Hochhaus«, beschreibt Gabi Steltner-Merz das Umfeld für die Arbeit ihrer Kita. »Wenn sie Kinder haben, sind wir für diese Familien meist der erste und einzige Kontakt zur deutschen Gesellschaft.«
Ein multiprofessionelles Team
Vor dem Fenster des Leiterinnenzimmers spielt eine Kindergruppe hörbar Versteck, klopft ab und zu ans Fenster und winkt »Gabi« zu. Vor 28 Jahren übernahm die heute 54-jährige Sozialpädagogin die Kita als Leiterin. »Die Kinder waren außer Rand und Band und niemand war mit der Arbeit zufrieden«, erinnert sich die zugewandte, freundlich lächelnde Frau an diese Zeit. Damals fand sie ein Team, das Lust hatte, in einen Veränderungsprozess einzusteigen und eine Kita für diesen Stadtteil zu entwickeln. Sie fragten sich: Was sind die Bedürfnisse der Kinder und Familien, die hier leben? Wie können wir ihnen gerecht werden? Wen müssen wir dazu einbinden? Alle KollegInnen im Team haben zu ihrer pädagogischen Qualifikation noch eine besondere Profession – eine begleitet das Elterncafé und gibt Deutschkurse, eine andere ist Sprach- und Leseexpertin, der dritte Theaterpädagoge und eine vierte ist Psychomotorikerin und hat ein Faible für Sozialraumanalysen. Darüberhinaus unterstützen noch Externe zuverlässig das Stammteam. An der Wandtafel erkennt man das im Bild: Die Fotos der 30 pädagogischen und hauswirtschaftlichen MitarbeiterInnen sind umringt von gut einem Dutzend Menschen mit weiterer Expertise. Direkt in der Kita bieten sie an, was Eltern unterstützt: z.B. Erziehungs- und Familien- sowie soziale Beratung, Deutschkurse für die Mütter oder auch Gelegenheiten, um Gleichgesinnte kennenzulernen.
Raum für jedes Kind
»Entscheidend war für uns, jedes Kind mit seinen individuellen Besonderheiten anzunehmen«, erklärt die Leiterin den Start des Veränderungsprozesses. Vor 15 Jahren gehörte die Kita in der Uhlandstraße zu den ersten, die in Deutschland begann mit dem neuseeländischen Konzept Lerngeschichten zu arbeiten. Das brachte eine enorme, aber produktive Veränderung für das Team: Weg von den Angeboten und der Sicherheit der Wochenpläne, hin zu den Stärken und Bedürfnissen der Kinder. Gerade bei Kindern, die manchmal schwierig scheinen und die man nicht gleich versteht, helfen die Lerngeschichten, an ihnen dranzubleiben und sich ihnen zu öffnen. Erzieherin Kathrin Weber berichtet von einem Mädchen aus ihrer Gruppe. Das gab gern den Ton an und die anderen Kinder aus der Gruppe gingen ihr deshalb eher aus dem Weg. »Was ist mit dem Kind, dass es so viel Aufmerksamkeit braucht?«, fragten ihre Kolleginnen sich. »Sie will eine Rolle spielen und wichtig sein!«, erkannten sie bald. »Sie wünscht sich, manchmal eine Erzieherin zu sein. Wir schrieben ihr eine Geschichte und machten ihr Angebote, wie sie sich mit ihren Kompetenzen einbringen kann«, berichtet die Fachfrau für Psychomotorik weiter. Inzwischen darf die Fünfjährige manchmal die Erzählrunde leiten, bereitet den Musikkreis mit vor oder übt auch mal ein Lied ein, das sie den anderen vorsingt. Sie ist entspannter geworden und viel freundlicher im Umgang mit den anderen Kindern.
Fünf Kinder von der Gruppe Rasselbande drängen sich auf drei Stühlen im Leiterinnenbüro. Sie wollen unbedingt interviewt werden. Es ist toll, dass die ErzieherInnen, ihnen eine Lerngeschichte schreiben und sie ihnen dann vorlesen, sind sich die Fünf einig. Schön sei vor allem, dass die ErzieherInnen wahrnehmen, was sie alles könne, genau hingucken und ihr sagen, was sie schon gut kann, erklärt Finia mit großen leuchtenden Augen. »Im Urlaub ist es langweilig«, erzählt der sechsjährige Joel. Er freut sich dann wieder auf die Kita. Er liebt vor allem die Rutsche, auf der er ständig neue Bewegungsarten ausprobiert. Die Erzieherinnen Ute und Anja würden alles richtig gut machen, sprudelt es aus Fiona heraus. Wenn sie weinen muss, weil sie hingefallen ist, würde die Fünfjährige immer getröstet werden.
Mit den Kindern zu sein und ihre Themen zu erkennen, die sie gerade interessieren, verlangt genau hin- und zuzuhören. In der Gruppe von Kathrin Weber haben drei Kinder vor den Sommerferien das Fahrradfahren gelernt und das beschäftigt sie nach wie vor. »Deshalb greifen wir das Thema auf: sprechen über die Helme, Bremsen, den Fahrradständer, alles neue Worte für die Kinder.« Bestimmt wird das nächste Projekt der Gruppe eines mit Rädern sein, wenn das Interesse bleibt.
Kathrin Weber gehört seit elf Jahren dem Team an. Sie übernahm die Aufgabe der Sozialraumanalyse. Als sie in der Kita anfing zu arbeiten, zählte sie noch 50 Prozent Kinder deutscher Herkunft. Inzwischen besuchen Mädchen und Jungen aus 40 Nationen die Kita und fast alle haben zu Hause eine andere Sprache gesprochen, ehe sie in die Kita kommen. »Dass die Kinder schon eine andere Sprache sprechen, erkennen wir an. Das Deutsch kommt dann dazu«, beschreibt sie die Haltung des Teams. Und die Projekte dienen auch dazu, den Wortschatz entlang der Interessen der Kinder zu fördern.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 09-10/18 lesen.