Es ist Mittagszeit in der Krippe und die Kinder sollen Ruhe finden und schlafen können. Hierfür gibt es in jeder Gruppe entsprechende Schlafmöglichkeiten für die Kinder. Wer nicht schlafen kann oder will, wird gebeten, sich ruhig zu verhalten. Allen Kindern stehen Matratzen zur Verfügung, die mit persönlichen Materialen, z.B. dem Lieblingskuscheltier, ausgestattet sind. Die Kinder können ihren Schlafplatz selber wählen. Die Matratzen sind jeweils mit einem bestimmten Abstand im Raum verteilt. Auf diese Weise können viele Kinder die Ruhepause gut für sich nutzen. Aber nicht allen Kindern fällt es leicht zu schlafen. Die pädagogischen Fachkräfte versuchen sich, über die Gründe klar zu werden. Es besteht eine große kulturelle Vielfalt bezüglich der Familien, deren Kinder die Einrichtung besuchen. Jörn Borke stellte sich die Frage nach kulturellen Unterschieden und ob hier ein Anpassungsbedarf besteht.
In Kindertagesstätten begegnen sich Kinder und Familien mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und folglich auch verschiedenen Konzepten und Erfahrungen von frühkindlicher Bildung. Für die pädagogischen Fachkräfte ist es maßgeblich, diese unterschiedlichen kulturellen Konzepte der Familien zu verstehen und in den Alltag der Kindertagesstätte einzubinden. Eine primäre Grundlage dafür ist das Wissen über kulturelle Unterschiede. In diesem Beitrag soll mit dem Schlafverhalten ein zentrales physiologisches Bedürfnis in diesem Sinne näher beleuchtet und eingeordnet werden.
Der Schlaf ist für den Menschen überlebensnotwendig. Während dieser Zeit finden wichtig Erholungs-, aber auch Wachstumsprozesse statt. Er unterstützt die Verarbeitung von aufgenommenen Informationen und damit auch die Bildung und das Lernen. Deshalb ist es wichtig, dass Kindern in Krippen und Kitas ausreichend Zeit zur Erholung und zum Schlafen angeboten wird.
Bezüglich der Entwicklung ihres Schlafverhaltens zeigen sich bei den Kindern große individuelle Unterschiede. So zeigte der Schweizer Kinderarzt Remo H. Largo, dass Kinder während ihres ersten Lebensjahres über den Tag und die Nacht verteilt durchschnittlich ungefähr 15 bis 16 Stunden der Zeit mit Schlafen verbringen. Betrachtet man jedoch die einzelnen Kinder wird deutlich, wie sehr sich diese hier unterscheiden. So kommen einige Kinder im ersten Lebensjahr gut mit 12 Stunden Schlaf aus, während andere eher 18 bis 19 Stunden schlafen (Largo 2006). Auch bei Erwachsenen finden sich solche Unterschiede. Manchen reichen 5 Stunden Schlaf aus und anderen fällt es auch nach 9 Stunden schwer, aus dem Bett zu kommen.
Auch bei anderen Aspekte der Schlafentwicklung, beispielsweise, ab wann Kinder auch ohne Tagesschlaf auskommen können, zeigen sich mitunter große individuelle Unterschiede (Largo 2006). Diese können vor allem durch unterschiedliche individuelle Anlagen, die Kinder mitbringen, erklärt werden. Außerdem bestehen bei Kindern und in Familien sehr unterschiedliche Schlafgewohnheiten. Neben diesen Einflussfaktoren, durch die sich Varianzen beim kindlichen Schafverhalten erklären lassen, bestehen kulturelle Unterschiede bei der Gestaltung von Schlafsituationen.
Kulturelle Unterschiede zeigen sich beispielweise bei der Gestaltung von Schlafarrangements. So ist es in Kontexten, die durch eine starke Betonung der psychologischen Autonomie und Individualität gekennzeichnet sind, verbreitet, dass Kinder teilweise schon früh darin unterstützt werden, selbstreguliert, also allein, ein- und durchzuschlafen (Keller 2011). Viele Kinder werden daher schon früh daran gewöhnt, in einem eigenen Bett sowie teilweise auch in einem eigenen Zimmer zu schlafen (Mindell et al. 2010). Diese Herangehensweise raten auch Elternratgeber an, die ein selbstreguliertes Schlafverhalten von Kindern empfehlen und den Eltern Möglichkeiten vermitteln, dieses zu unterstützen (z.B. Kast-Zahn & Morgenroth 2007). Damit einher geht auch die Beobachtung, dass das Schlafen vom Erwachsenen in einem Bett zusammen mit dem Kind hierzulande eher weniger verbreitet ist und zum Teil sogar eher kritisch gesehen wird. Kinder schlafen hier in Beistellbetten (zumindest nach ein paar Monaten) oder auch im eigenen Kinderzimmer (Mindell et al. 2010).
In weiten Teilen der Welt ist das gemeinsame Schlafen mit anderen Familienmitgliedern in einem Bett weit verbreietet und sogar die Norm. Hier steht eher eine Förderung des Gefühls der – auch körperlichen – Verbundenheit mit der Familie im Mittelpunkt und weniger eine Unterstützung kindlicher Selbstregulationsfähigkeiten und der psychologischen Autonomie der Kinder (Keller 2011; Morelli et al. 1992).
Unterschiede zeigen sich in der Verbreitung von sogenannten Übergangsobjekten (Winnicott 1969), also Gegenständen, die für Kinder eine ähnliche Funktion wie eine anwesende Bezugsperson einnehmen können. Oft sind das die Lieblingskuscheltiere der Kinder. In Kontexten, welche die psychologische Autonomie betonen, kommt den Übergangsobjekten oft die wichtige Bedeutung zu, Sicherheit in unvertrauten Situationen zu vermitteln, so auch beim Einschlafen. Es kommen Übergangsobjekte zum Einsatz, um den Kindern das alleine Einschlafen zu erleichtern (Super & Harkness 2013), aber sie sind auch in Kindertagesstätten verbreitet, um das Schlafen außerhalb des Zuhauses zu unterstützen. Kinder werden auch ermutigt, entsprechende Gegenstände mitzubringen und zu nutzen. Weiterhin besteht in Kindertagesstätten eventuell die Möglichkeit, dass Kinder sich ihren Schlafplatz individuell aussuchen können und ein Mitspracherecht bei dessen Gestaltung und bei der Wahl haben, neben welchen Kindern sie schlafen möchten. So können Gefühle von Vertrauen, Vertrautheit, Kontrolle und Geborgenheit unterstützt werden.
In Kontexten, in denen stärker die gemeinschaftliche Verbundenheit im Mittelpunkt steht, finden sich andere Herangehensweisen und entsprechende Vorerfahrungen der Kinder und Erwartungen der Eltern. Hier sind Übergangsobjekte eher unvertraut, da durch die stärkere Betonung der Verbundenheit weniger Bedarf besteht. Die Kinder stehen die meiste Zeit (Tag und Nacht) in Kontakt mit ihren Bezugspersonen und deshalb wird eine Kompensation für die Anwesenheit anderer Personen weniger notwendig. Außerdem sind Kommunikation und Abläufe weniger kindzentriert gestaltet als in Kontexten der psychologischen Autonomie, da es als die Aufgabe der Erwachsenen angesehen wird, das Kind in die Gemeinschaft einzuführen und ihm die dafür wichtigen Elemente beizubringen. Dies führt dazu, dass die kindliche Selbstbestimmung nicht als so zentral angesehen wird, wie in Kontexten der psychologischen Autonomie.
Auch erleben die Kinder in vielen Gemeinschaften, die großfamiliär organisiert sind, das Aufwachsen mit multiplen Betreuungspersonen und werden früh daran gewöhnt, sich auch an neue Personen zu gewöhnen ohne dabei großen Stress zu empfinden (Otto & Keller 2012). Folglich kann es für Kinder mit einem solchen kulturellen Hintergrund auf der einen Seite schneller möglich sein, sich an neue Umgebungen und neue Personen zu gewöhnen. Auf der anderen Seite kann es ihnen jedoch schwererfallen, ohne die gewohnte körperliche Nähe zu anderen Kindern oder Personen einzuschlafen. Diese Kinder sind auch nicht unbedingt gewohnt, bei der Gestaltung und der Lage des Schlafplatzes mitzubestimmen, sodass das möglicherweise für sie als irritierend oder überfordernd erlebt werden kann.
Es wurden auch kulturelle Unterschiede hinsichtlich der zeitlichen Struktur der Schlafzeiten von Kindern beschrieben. In industrialisierten Gesellschaften besteht meist die Ansicht, dass feste Schlafzeiten sinnvoll für die Kinder sind, und folglich werden die Kinder nach und nach daran gewöhnt, immer zu einem nahezu gleichen Zeitpunkt ins Bett zu gehen. Dies wird oft auch von Einschlafritualen begleitet. Eine Begründung für dieses Vorgehen kann darin gesehen werden, dass feste Tagespläne und -termine eine entsprechende Strukturierung auch der Schlafzeiten sinnvoll und notwendig machen. In nicht-industrialisierten Gesellschaften, die zeitlich nicht so streng getaktet sind, wird es vielfach so gehandhabt, dass den Kindern keine festen Schlafzeiten nahegelegt werden, sondern diese einschlafen, wenn sie müde sind und oft dann auch dort, wo sie sich gerade befinden (Super & Harkness 2013; Worthman & Melby 2002).
Es ist also davon auszugehen, dass in einer Kindertagesstätte Kinder mit ganz unterschiedlichen Schlaferfahrungen und -gewohnheiten sowie Eltern mit verschiedenen kulturellen Konzepten bezüglich der Gestaltung von kindlichen Schlafsituationen aufeinandertreffen. Manche Kinder sind das allein Schlafen gewohnt, profitieren dabei von Übergangsobjekten und von einer individuellen Gestaltung des Schlafarrangements. Diese Kinder sind meist mit festen Schlafzeiten vertraut. Andere Kinder sind eher das Einschlafen mit Körperkontakt bzw. in unmittelbarer Nähe zu anderen Personen gewohnt und möglicherweise durch zu viele Auswahlmöglichkeiten und feste Schlafzeiten erst einmal irritiert.
Pädagogische Fachkräfte sollten hier Verständnis für die jeweiligen elterlichen Sichtweisen und kindlichen Vorerfahrungen haben. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die elterlichen Wünsche und Hintergründe kennenzulernen und zu erfragen. Und es sollte überlegt werden, wie diese im Alltag der Kindertagesstätte Berücksichtigung finden können. Dies ist wahrscheinlich nicht in jeden Fall vollständig möglich. Daher ist es ebenso bedeutend, den Eltern die Gestaltung der Schlafsituationen in der Einrichtung zu erläutern und diese auch zu begründen. Es sollte aber in jedem Fall eine Offenheit für das Infragestellen von bisherigen Abläufen vorhanden sein sowie eine Bereitschaft für die Suche nach Lösungsmöglichkeiten, die für die Eltern passend erscheinen, die den Bedürfnissen der Kinder entsprechen und die für die Einrichtung tragbar sind (Borke, Bruns et al. 2013; Borke & Keller 2014).
Literatur
Borke, J., Bruns, H., Brouer, A., Döge, P., Hamilton-Kohn, B., Harting, V., Kärtner, J., Kleemiß, H. & Pypec, K. (2013): Kultursensitive Krippenpädagogik – Anregungen für den Umgang mit kultureller Vielfalt. Weimar: verlag das netz
Borke, J. & Keller, H. (2014): Kultursensitive Frühpädagogik. Stuttgart: Kohlhammer
Kast-Zahn, A., Morgenroth, H. (2007): Jedes Kind kann schlafen lernen. München: Gräfe & Unzer
Keller, H. (2011): Kinderalltag. Heidelberg: Springer
Largo, R. H. (2006): Babyjahre. München: Piper
Mindell, J. A., Sadeh, A., Kohyama, J. & How, T. H. (2010): Parental behaviors and sleep outcomes in infants and toddlers: A cross-cultural comparison. Sleep Medicine, 11(4), 393–399
Morelli, G. A., Rogoff, B., Oppenheim, D. & Goldsmith, D. (1992): Cultural variation in infants’ sleeping arrangements: Questions of independence. Developmental Psychology, 28(4), 604–613
Super, C. M. & Harkness, S. (2013): Culture and children's sleep. In: H. Montgomery-Downs & A. Wolfson (Eds.), Oxford Handbook of Infant, Child, and Adolescent Sleep: Development and Problems (pp. 81–98). New York: Oxford University Press
Winnicott, D. W. (1969): Übergangsobjekte und Übergangsphänomene. Eine Studie über den ersten, nicht zum Selbst gehörenden Besitz. Psyche, 23, 666–682
Worthman, C. M. & Melby, M. (2002): Toward a comparative development ecology of human sleep. In M. A. Carskadon (Ed.), Adolescent Sleep Patterns: Biological, Social, and Psychological Influences (pp. 69–117). New York: Cambridge University Press
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