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WissenschaftlerInnen fordern das Qualitätsgesetz für die Kita
Mit einem Aufruf an die zukünftige Bundesregierung, konsequent ein Gesetz zur Verbesserung der Qualität in Kita und Kindertagespflege vorzubereiten und zu verabschieden, wandten sich vor den Bundestagswahlen WissenschaftlerInnen aus dem Feld der Frühpädagogik an die Öffentlichkeit. Immer mehr MitarbeiterInnen von Universitäten, Hoch- und Fachschulen und Instituten schließen sich dem Aufruf an. Sie betonen: Es darf nicht abhängig vom Wohnort und der Herkunft sein, ob ein Kind eine gute Kinderbetreuung in der frühen Kindheit erhält. Mit einer der Initiatorinnen des Aufrufs, mit Rahel Dreyer, Professorin an der Alice Salomon Hochschule Berlin und stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit (BAG BEK) e.V., sprach Barbara Leitner.
Wieso entschieden Sie sich als WissenschaftlerInnen, sich mit diesem Thema an die Öffentlichkeit zu wenden?
Kurz vor den Bundestagswahlen wollten wir die Bundesregierung nachdrücklich auffordern, mehr in die frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung zu investieren und ein Gesetz zur Verbesserung der Qualität in Kita und Kindertagespflege auf den Weg zu bringen. Susanne Viernickel (Universität Leipzig), Irene Dittrich (Studiengangstag Pädagogik) und ich (Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit e.V.) unterstützen damit die Initiative des Bündnisses für ein Qualitätsgesetz der Arbeiterwohlfahrt (AWO), dem Deutschen Caritasverband/ Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (DCV/KTK) sowie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Wir starteten aus wissenschaftlicher Perspektive einen Aufruf »Qualitätsstandards in der frühen Bildung jetzt angleichen, dauerhaft verbessern und finanziell sichern«.
Es gibt mehrere bemerkenswerte Aspekte bei diesem Aufruf. Zum Ersten: Es sind einige WissenschaftlerInnen unter den ErstunterzeichnerInnen, die Studien im Zusammenhang mit dem Qualitätsgesetz schrieben und auch in den anschließenden Dialogprozess mit dem Bund und den Ländern einbezogen waren, der in den Zwischenbericht mündete. Was veranlasst diese dennoch, einen Aufruf zu verfassen bzw. zu unterzeichnen?
Das ist richtig. Einige von uns WissenschaftlerInnen waren in Form von Expertisen an der Erforschung und Begründung von verschiedenen Aspekten eines künftigen Qualitätsgesetzes beteiligt. Diese Studien belegen empirisch und dokumentieren gut, dass Investitionen in strukturelle Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung zu einer verbesserten pä̈dagogischen Qualität führen und sich förderlich auf kindliche Bildungs- und Entwicklungsverläufe auswirken. Deswegen wollen wir nun diesen dialogischen Prozess von Bund und Ländern, den wir grundsätzlich begrüßen, stützen und voranbringen.
Zum Zweiten finde ich es erstaunlich, dass 54 WissenschaftlerInnen sich in diesem Aufruf auf einen gemeinsamen Nenner einigten. Dabei vertreten sie in der fachlichen Diskussion durchaus verschiedene Positionen und Blickwinkel und sind gar nicht so einheitlich in der wissenschaftlichen Debatte.
Ja, das sehe ich als einen riesigen Erfolg, der zeigt, wie wichtig es allen ist – trotz unterschiedlicher Positionen und Blickwinkel –, sich für die pädagogische Qualität im Bereich der Kindertagesbetreuung einzusetzen. Unterdessen kamen weitere UnterzeichnerInnen hinzu: Ende September zählt die Liste knapp 180 Namen. Alle Unterzeichnenden bekräftigen, dass dies nur mit ausreichenden Investitionen in strukturelle Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung gelingen kann und dazu die Mitfinanzierung des Bundes strukturell abgesichert sein muss.
Dann gilt der dritte Punkt um so mehr: 180 WissenschaftlerInnen in dem Feld. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, als es nur vier Professuren im Bereich der Frühpädagogik gab!
Erfreulicherweise ist der zuvor marginalisierte Bereich der Pädagogik der frühen Kindheit, der zuvor vor allem Studienschwerpunkt im Bereich der Erziehungswissenschaften an nur sehr wenigen Standorten angeboten wurde, in den zurückliegenden 17 Jahren weiter ausgebaut worden. Vor allem durch die Einrichtung von kindheitspädagogischen Studiengängen an den Fachhochschulen und Hochschulen kamen etliche Professuren hinzu. Dabei spielten sicherlich die dort vorhandenen Kapazitäten im Bereich sozialpädagogischer Fächer und die Praxisorientierung in Forschung und Lehre eine Rolle. Wenn wir die Qualifizierung von pädagogischen Fachkräften auf akademischem Niveau weiter ausbauen wollen, benötigen wir allerdings nach wie vor dringend mehr wissenschaftlichen Nachwuchs. Immer noch können Professuren aufgrund mangelnder geeigneter BewerberInnen nicht besetzt werden.
Welche Hoffnungen verbinden Sie mit diesem Aufruf?
Wir setzen uns dafür ein, dass jede künftige Bundesregierung auch in finanzschwachen Regionen eine bedarfsgerechte quantitativ und qualitativ gute Kindertagesbetreuung in Kitas und Kindertagespflege sicherstellt. Das ist momentan nicht der Fall. Dabei müssen die Mittel, die die Bundesregierung in Zukunft hoffentlich kontinuierlich und auch im steigenden Umfang zur Verfügung stellt, tatsächlich in der Kindertagesbetreuung und bei den Kindern ankommen. Wir wollten mit dem Aufruf die breite Öffentlichkeit erreichen und suchen auch den direkten Dialog mit den jeweiligen Partei-SprecherInnen. Wir hoffen sehr, dass den verkündeten Absichten mit dem Beschluss der Jugend- und Familienminister der Länder bzw. im Wahlkampf nun auch Taten folgen und zukünftig allen Kindern un-abhängig von Herkunft und Wohnort eine hohe Qualität in ihrer Bildung, Betreuung und Erziehung gewährleistet werden wird. Auch als neutrale und unabhängige WissenschaftlerInnen sehen wir unsere Aufgabe darin, das durch unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verfügung gestelltes Wissen in der Praxis auch umgesetzt wird und werden kann.
Gibt es bremsende oder verhindernde Gründe für den weiteren Qualitätsprozess?
Es gibt sicherlich viele Faktoren, die den Prozess bremsen oder gar stoppen können. Damit dies nicht passiert, ist es meines Erachtens besonders wichtig, dass der Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz unmittelbar nach Beginn der nächsten Legislaturperiode des Bundestags in ein Gesetzgebungsverfahren mündet. Zentral ist zudem, dass die Mitfinanzierung des Bundes strukturell abgesichert ist und die bisherigen Investitionen in Qualität und Qualitätsentwicklung auf keinen Fall zurückgefahren, sondern zusätzliche Mittel für Verbesserungen der Qualität bereitgestellt werden.
Welches Wissen liefert die Wissenschaft, was passiert tatsächlich unter diesen von Bundesland zu Bundesland verschiedenen Rahmenbedingungen und welche Auswirkungen haben diese auf die Qualität der Kitas und der Kindertagespflege?
Hierzu gibt es bereits einige Untersuchungen, auf deren empirische Aussagen ich kurz verweisen will: Nur wenn die pädagogische Qualität stimmt, profitieren Kinder in ihrer sozialen, emotionalen und kognitiven Entwicklung.
Bei einem geringeren Fachkraft-Kind-Schlüssel und in kleineren Gruppen er höht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Fachkräfte situations- und kindangemessen reagieren, Bedürfnisse nach individueller Zuwendung und Körperkontakte besser befriedigen, als Spiel- und Interaktionspartner verfügbar sind und Kinder in ihrer Entwicklung und Bildung besser unterstützen. Je höher die Qualifikation der Fachkräfte und insbesondere der Leitung ist, desto besser entwickeln sich die Kinder.
Anstatt die Fachkräftekataloge aufzuweichen und vermehrt auch Personal ohne Qualifikation einzustellen, sollte daher dringend auch in die (Weiter-) Qualifizierung des Personals investiert werden.
Berichte aus der Praxis stärken diese Erkenntnisse. Wenn ich mit ErzieherInnen oder ehemaligen Studierenden der Kindheitspädagogik rede, höre ich immer wieder, dass sie unter den schlechten Rahmenbedingungen leiden. Bedingt durch die angespannte Personalsituation können sie sich Kindern nicht in der Art und Weise widmen, die wichtig für deren emotionale Sicherheit und das Wohlbefinden erforderlich wäre. Beides sind Voraussetzung dafür, dass die Kinder von dem Angebot überhaupt profitieren können. Dieses »Umsetzungsdilemma« – zu wissen, wie gute Bildungsarbeit aussieht und gleichzeitig zu merken, dass man den eigenen Anspruch nicht einlösen kann, weil man sich einfach um zu viele Kinder kümmern oder ständig für kranke KollegInnen mitarbeiten muss – belastet sehr.
Es macht sogar auf Dauer krank. Das konnte auch in einer großen bundesweiten Studie nachgewiesen werden. Im Endeffekt führt dies dazu, dass die Besten und Engagiertesten aus dem Feld herausgehen und sich für andere Berufe entscheiden, bei denen die Diskrepanz zwischen Erwartungen und Ressourcen weniger hoch ist. Das ist gerade zu Zeiten des Fachkräftemangels ein Desaster.
Es gibt Formulierungen im Aufruf, die mich aufhorchen lassen, z.B. die Finanzierung »unter keinen Umständen zurückzufahren«. Das klingt nach Not und Befürchtungen?
Ja, das darf auf keinen Fall passieren. Im Gegenteil: Es sind zusätzliche Mittel für weitere Qualitätsverbesserungen zu verwenden. Das ist bislang noch nicht gesetzlich verankert. Daher fordern wir die politisch Verantwortlichen auf, die in Aussicht gestellte Mitfinanzierung des Bundes strukturell abzusichern und zügig zu realisieren. Bislang liegt die Hauptlast zu sehr auf den Kommunen und Ländern. Trotz des umfangreichen Investitionsprogramms des Bundes sind nach wie vor mehr Investitionen und eine direkte finanzielle Beteiligung des Bundes, der schließlich von den mittelfristigen und langfristigen Effekten profitiert, erforderlich. Um allen Kindern unabhängig von Herkunft und Wohnort gleiche Chancen zu ermöglichen, sollte der Bund außerdem sicherstellen, dass auch in finanzschwachen Regionen ein bedarfsgerechter quantitativer und qualitativer Ausbau ermöglicht wird. Außerdem sollte eine Zweckbindung der Mittel für die Kindertagesbetreuung sichergestellt werden.
Wie vor allem das Ländermonitoring der Bertelsmann Stiftung zeigt, sind die Herausforderungen bundesweit verschieden verteilt: In den »alten« Ländern geht es vor allem um Ausbau, in den eher »neuen« um Qualität und die Entlastung des Personals? Stimmt diese Formel so einfach? Und wie kann hier eine Angleichung erreicht werden, wenn die Aufgaben so verschieden sind?
Tatsächlich ist die Situation der Kindertagesbetreuung in den Bundesländern sehr verschieden. Der quantitative Ausbau ist unterschiedlich weit fortgeschritten. Das Platzangebot in den neuen Bundesländern ist z.B. deutlich größer als in den alten Bundesländern. Aber auch was die Fachkraft-Kind-Schlüssel betrifft, gibt es zwischen den einzelnen Bundesländern erhebliche Unterschiede. So werden zum Beispiel in Sachsen (6,5) etwa doppelt so viele Kinder von einer Fachkraft betreut wie in Baden-Württemberg (3,2). Wir wissen, dass es – empirisch nachgewiesen – Schwellenwerte für die Fachkraft-Kind-Relation gibt, ab denen die pädagogische Qualität leidet und eine ernsthafte Bildungsarbeit nicht kontinuierlich möglich ist. Für Kinder unter drei Jahren liegen diese bei maximal vier Kindern pro Fachkraft, für ältere Kinder bei einem Verhältnis Fachkraft zu Kind von ca. 1:9.
Die großen Betreuungsunterschiede, vor allem bei den jüngeren Kindern, müssten bundesweit den individuellen Bedürfnissen der Kinder angepasst werden. Nur dann kann sichergestellt werden, dass das Wohlbefinden insbesondere der unter Dreijährigen nicht aus den Augen verloren wird und die »Krippen-Garantie« – wie sie die Politik formulierte – auch für sie gilt. Wir fordern in unserem Aufruf deshalb außerdem dazu auf, dass der Prozess der Aushandlung von Qualitätsentwicklungszielen – der in jedem Bundesland je nach Herausforderung natürlich unterschiedliche Schwerpunkte haben wird – partizipativ und transparent gestaltet wird und sein Fortschritt über konkret formulierte Meilensteine sicht- und überprüfbar ist.
Den Aufruf »Qualitätsstandards in der frühen Erziehung, Bildung und Betreuung jetzt angleichen, dauerhaft verbessern und finanziell sichern« können Sie hier nachlesen: http://www.bag-bek.eu/fileadmin/user_upload/2017-08-28_Aufruf_Qualitaetsgesetz_plus_weitere_Unterzeichnende.pdf