How to vergeig the Fortbildung
Reisen Sie am Vortag per Bahn an. Beziehen Sie Ihr Zimmer im »Gasthaus zum Hirschen«, wo es nach kaltem Rauch und altem Fett riecht. Gehen Sie beim Abendessen in der Wirtsstube (Räucherwurst mit Pommes) Ihre Seminarunterlagen noch einmal durch, um auf das übliche Unerwartete zu stoßen: Die Teilnehmerzahl ist höher als verabredet. Es kommen Krippenerzieher, obwohl Sie doch über Ü3 statt U3 referieren wollten. Überfliegen Sie panisch Ihre Vorbereitungszettel, um resigniert aufzuseufzen: Jetzt ist’s eh zu spät.
Betrachten Sie am Morgen den Raum. Als dritten Erzieher, wie Sie es sich vorstellten, gefällt er Ihnen nicht gut? Trösten Sie sich: Niemand sagt, was für ein Typ dieser sagenumwobene »dritte Erzieher« sein soll. Ihrer ist eben ein trockner Typ ohne Witz mit staubgrauem Anzug, aus dessen Gegenwart man schnell wieder entfliehen möchte. Sehen Sie: Ihr Raum ist vorbereitet!
Begrüßen Sie die Teilnehmerinnen. Und den Herrn. Sagen Sie, wie sehr es Sie freut, auf die Praxis zu treffen, die auch Ihnen aus der Theorie so vieles zu geben habe. Nicht nur umgekehrt. Lassen Sie jeden sich vorstellen – Nadine aus der eingruppigen Kita in Unter-Oberlingen, Susi aus der dreigruppigen Kita in Hohen-Niederndorf und Gerd vom Hort in Hinter-Miesöd. Stellen auch Sie sich vor – wie es wäre, mit einer von diesen Personen zu tauschen.
Geben Sie in der Vorstellungsrunde Klebeband und Edding aus, um die Teilnehmer zu markieren. (Zumindest solange es noch keine automatisch eingeblendeten Namensschilder gibt – »Vanessa aus der Schneckengruppe – hat Probleme beim Wickeln ohne Gummihandschuhe«.) Verwenden Sie kräftiges Klebeband (Panzertape), um den Teilnehmern das Glück persönlicher Ansprache über das Seminar hinaus zu sichern. Etwa beim Pausenimbiss im Kaufland-Bistro (»Herta, für Sie auch eine Wurstsemmel aus dem Tagesangebot?«) oder auch daheim (»Schnuckiputz, heißt du eigentlich schon immer Waltraut?«).
Fragen Sie in der Einstiegsrunde »den Erwartungshorizont« ab. Horizont – das meint eine weite Linie, die die ganze Welt umspannt und zu der man nie gelangt, denn wenn man hingeht, verschiebt sich dieser mit. Aber versuchen Sie trotzdem tapfer, all das, was auf ihren Horizont-Kärtchen steht, zu erreichen – vielleicht klappt es ja bei ihnen.
Erklären Sie Ihr Pausenkonzept: Als Pädagoge geht es Ihnen nicht einfach um Kaffee-, Wurstsemmel- oder gar Zigarettenkonsum, sondern um das Wohlbefinden jedes Einzelnen – und dessen Fähigkeit, erfolgreich lernen zu können. Wofür genau terminierte Pausen grundlegend seien: Verlässlichkeit eben!
Präsentieren Sie mit Powerpoint. (Das übrigens, nennte man es übersetzt »Kraftpunkt«, vielleicht weniger gut ankäme.) Genießen Sie die Vorteile dieser Präsentationsmethode: Mit reinen Wort-Vorträgen können Sie die Zuhörer nur akustisch erreichen, um sie mit viel zu vielen Gedanken und Fakten zu langweilen. Mit Ihrer Bild-Präsentation gelingt es spielend, ihnen auch visuell ein Gähnen zu entlocken.
Apropos Sinne: Viele Dozenten übersehen, dass bei einer guten Lernveranstaltung nicht nur der Kopf angesprochen werden sollte. Nein, die Lernenden von heute möchten Bildung mit dem ganzen Körper spüren. Und Hand aufs Herz: Gibt es intensivere Körpergefühle als das, was nach langem Sitzen auf einem harten Stuhl entsteht? Na also – lassen Sie sich Zeit mit Ihren 154 Folien.
Schon weil sich in jedem Seminarraum ein damit befüllter Koffer befindet, lassen Sie danach reichlich Karten beschreiben: Runde Karten mit persönlichen Erfahrungen zum Seminarthema, reduziert auf maximal drei Wörter. Eckige mit selbstreflexiven Einschätzung zur eigenen fachlichen Kompetenz, beschränkt auf neun Buchstaben ohne Leerzeichen. Wolkenkarten mit individuellen Gemütszuständen, gezeichnet in Piktogrammform. Gewähren Sie fünf Minuten Zeit bis zum Anpinnen, um von ihrem Seminarleiterplatz aus die gespannte Denkarbeit von den Minen der TeilnehmerInnen abzulesen: Was um Himmels Willen soll ich schreiben? Wie schreibt man bloß Parzipization richtig? Bei wem kann ich abgucken? Muss ich nicht überhaupt dringend auf Klo?
Gehen Sie in jeder Situation davon aus, es bei Ihren Teilnehmern mit Marsbewohnern zu tun zu haben, die zum allerersten Mal auf die fremde Welt der Pädagogik treffen. Präsentieren Sie uralte Konzepte und Ideen so, als wären Sie brandneue Ware. Begeistern Sie Ihre Teilnehmer mit Sätzen wie: »Aber woher weiß man, was das Kind tut? Die Antwort ist – tataaa: Beobachtung!«. Leiten Sie ein: »Ich möchte Ihnen nun zeigen, wie man aus banalen Kastanien sowie diesen Zahnstochern faszinierende Figuren bauen kann. Sie werden begeistert sein!«
Verkörpern Sie das, was Sie vermitteln. Gute Pädagogik – das sind Sie. Nicht so gute Pädagogik? Das sind wohl die Teilnehmer, die schließlich zu Ihnen gesendet wurden, in die pädagogische Klippschule. Geben Sie Ihnen das, was jeder Sado seinen Masos gewährt: Demütigung. »So gehen Sie mit den Kindern um? Das ist für Sie ein Projekt? Habe ich Sie richtig verstanden – Sie bezeichnen es als Projektarbeit, wenn …« Beherzigen Sie: Am Beginn jedes echten Lernprozesses steht Scham.
Verwenden Sie wohlklingende Gruppenspiele wie World Café, Open Space, Knowledge-Café oder die Jigsaw-Methode, um ihr Teaching up to date zu machen. Sie kennen die Unterschiede zwischen diesen Methoden gar nicht? Nicht schlimm, die kennt keiner. Und für die Teilnehmer fühlt sich eh alles gleich an: An Tische setzen. Über irgendwas reden. Tisch wechseln, wieder über was reden. Und bei der Auswertung brav sagen: »Gut, dass wir mal über alles geredet haben!«
Lassen Sie sich nicht das Heft aus der Hand nehmen, weil »wir jetzt eine Pau-se bräuchten«. Erklären Sie, wie wichtig es sei, Zustände auch einmal etwas auszuhalten. Dass man das auch von den Kindern verlange, bei sich selbst aber mit anderen Maß messe. Dass man eben noch nicht so weit sei, wie anfänglich terminiert – und diese Flexibilität genau zu ihrem Verständnis offenen Arbeitens gehöre – und hoffentlich auch zu dem der TeilnehmerInnen!
Bekommen Sie überhaupt schlechte Laune. Bekennen Sie offen und authentisch – wie Sie als Pädagoge nun mal sind – die Gründe dafür: Dass man Sie hierhin – in den schäbigen Pfarrsaal des Gemeindezentrums von Obersulingen – bestellt hat, um mit derart hin-terletzten Steinzeit-Pädagogen noch mal bei Friedrich und Fröbel anfangen zu müssen. Dass Sie – als AutorIn des vor 23 Jahre erschienenem Buches »Situative Lebensweltorientierung im alltagsbezogenen Ansatz« hier auf eine Mauer kalten Schweigens treffen, statt Dankbarkeit zu ernten. Berichten Sie, man habe Sie schon vor dieser Gruppe gewarnt. Über mögliche Komplikationen und Berichte an Vorgesetzte schon vorab nachgedacht.
Beenden Sie den Tag versöhnlich. Stellen Sie es als Teil Ihres Konzeptes vor, Emotionen auch einmal hochkochen zu lassen. Überhaupt sei alles, was den Tag geprägt habe – harte Stühle, öde Spiele, leere Karten, muffiger Kaffee – absichtsvoll so arrangiert, um den Teilnehmenden einmal den Perspektivwechsel in die Rolle der Kinder erfahren zu lassen, die vieles auf irgendeine Weise schließlich irgendwie auch erlebten. Wünschen Sie den Damen – und dem Herrn – abschließend viel Erfolg bei dem nun vor ihnen liegenden Weg, die vielen Vorschläge in die Praxis umzusetzen. Sammeln Sie die ordentlich gefalteten Evaluierungsbögen ein, die im Gegenzug für eine halbe Stunde früher Schluss positiver als gedacht ausfallen, stöpseln den Beamer ab und entfernen sich zum nachmittäglich verwaisten Obersulinger Bahnhof …
Achim Kniefel