Teil 3: Intelligenztest und die Vision der Begabtenförderung
In ihrer Beitragsserie möchte Astrid Gipp Bedenken entkräften und anstiften, sich dem Thema der besonderen Begabung im Elementarbereich zu öffnen. In diesem Beitrag widmet sich die Autorin gedanklich dem Einsatz von Intelligenztests bei Vorschulkindern, Erfahrungen und Visionen zur Begabungsförderung im Elementarbereich.
Hochbegabte Kinder im Vorschulalter sind kein Tabuthema mehr. Deren Diagnostik und ein angemessener Umgang mit ihnen bereitet dennoch Kopfzerbrechen. Ist das Kind wirklich hochbegabt oder nicht? Durch gezieltes Beobachten und Dokumentieren, das als Aufgabe jeder pädagogischen Fachkraft die Basis professionellen Handelns bildet, kann man besondere Begabungen bereits im Elementarbereich aufspüren. In den Bildungskonzeptionen der Länder wird der Begabtenförderung größtenteils Rechnung getragen.
Qualitative Unterschiede in der Umsetzung der Bundesländer in Form variierender Festlegungen und Empfehlungen der zuständigen Ministerien zeigen sich in Abhängigkeit von Trägern, deren Konzepten und Erzieherpersönlichkeiten. Der intrinsischen Motivation von pädagogischen Fachkräften und ihrer Offenheit gegenüber dem Begabungsthema ist es mit zu verdanken, dass Identifikationen von Begabungen gelingen und weitere Schritte gegangen werden können.
Um besondere Potentiale zu erkennen, muss man sich diesem Thema zunächst selbstbildend stellen. Im Heft 08-09|14 gibt es dazu innerhalb des Beitragsteils 2 anregende Impulse. Martin Textor bündelt »relativ verlässliche Charakteristika«1 hochbegabter Kinder:
- erste Anzeichen für eine besondere Lern- und Leistungsfähigkeit in einem oder mehreren Entwicklungs- bzw. Bildungsbereichen (sprachlich, sozial-emotional, musikalisch oder ästhetisch, sportlich, technisch, mathematisch-naturwissenschaftlich ...);
- besonders ausgeprägte Interessen bzw. eine große Vorliebe für eine bestimmte Art von Aktivitäten;
- völliges Aufgehen in gewissen Tätigkeiten (Flow2) und Zeigen großer Ausdauer;
- ein besonders starkes Einfühlungsvermögen, Führungsfähigkeiten, als Streitschlichter gefragt sein (starker Gerechtigkeitssinn), Lösen interpersonaler Konflikte;
- Interesse für soziale und gesellschaftliche Probleme;
- auffällig große Kreativität und Originalität (sprachlich, bildnerisch gestaltend...);
- lernbegierde, Neugier, ein hohes Aktivitätsniveau, Drang nach Selbstbestimmung/-steuerung, Perfektionismus und kritisches Denken;
- Stellen vieler Fragen und schnelle Verarbeitung neuer Informationen;
- Lesen-, Schreiben- und/oder Rechnenlernen von sich aus (insbesondere ohne fremde Hilfe);
- viel größerer Wortschatz im Vergleich zu anderen Kindern, häufiges Einsetzen ungewöhnlicher bzw. komplexer Begriffe, häufiges Sprechen in langen Sätzen, Fähigkeit, länger und ausdrucksvoller »am Stück« erzählen zu können als Gleichaltrige;
- gute Beobachtungsgabe, schnelles Erkennen von Ursache-Wirkung-Beziehungen, Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten;
- hohe Konzentrations- und gute Merkfähigkeit; beispielsweise schnelles Auswendiglernen von Liedern, Gedichten und Reimen besonderes Interesse an bestimmten (»Erwachsenen-«)Themen und Spezialwissen in ihrem Bereich;
- häufiges Auswählen von Gleichbefähigten oder älteren Kindern als Spiel- bzw. Gesprächspartner oder Allein-Spielen;
- Fähigkeit, Erwachsene zum Staunen und Wundern zu bringen; diese Kinder erscheinen oft anstrengend.
Die aufgeführten Charakteristika finden sich bei anderen Autoren in ähnlicher Form wieder. Mithilfe dieser, teilweise wissenschaftlich fundierten, Erkenntnisse (um eigene Beobachtungen und Erfahrungen ergänzt), wurde in Anlehnung an Huser, Gardner, dem Niedersächsischen Kultusministerium und anderen eine Beobachtungs- und Dokumentationshilfe für pädagogische Fachkräfte im Elementarbereich entwickelt, um besondere Begabungen identifizieren zu können.3
Beobachten und Dokumentieren in Kindertagesstätten sind wichtiger Bestandteil des pädagogischen Alltags, und die pädagogischen Fachkräfte verstehen sich als Entwicklungsbegleiter mit Diagnosefunktion im pädagogischen Sinne. Sie streben in Interaktion mit dem Kind an, dessen Stärken aufzuspüren, es in seiner Entwicklung optimal zu begleiten, anzuregen, zu fordern und zu fördern. Die pädagogische Diagnostik, auch Pädagnostik genannt, bildet »[…] die Grundlage frühpädagogischen Handelns und gehört zur täglichen professionellen Arbeit einer Fachkraft«4.
Eine ganzheitliche Identifizierung besonderer Begabungen geschieht in Kooperation aller an der Entwicklungsbegleitung des Kindes Beteiligten: Dem Kind selbst, den Eltern, Erzieherinnen, Psychologen und anderen Experten. Fuchs weist darauf hin, dass Diagnostik hierbei als Prozess zu gestalten ist und merkt an, »dass es keine absolut sichere Diagnostik geben kann.«5 Pädagnostik soll motivieren, individuelle Ressourcen aufzudecken und Basis für angemessene Begabungsförderung des Kindes sein.
1 Textor, M.: http://www.kindergartenpaedagogik.de/1916.html
2 Csikszentmihalyi, M.: Flow – Das Geheimnis des Glücks. Stuttgart 2005
3 Diese ist Teil einer sich in Arbeit befindlichen Publikation.
4 Fuchs, M.: Vorgehensweisen mathematisch potentiell begabter Dritt- und Viertklässler beim Problemlösen. 2006. S. 5ff
5 Ebenda
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/15 lesen.