Ein Gespräch mit Ilse Wehrmann
Ilse Wehrmann stammt aus Melle in Niedersachsen. Mit 22 Jahren leitete sie einen Kindergarten und studierte nebenbei Sozialpädagogik. 31 Jahre lang war sie Geschäftsführerin der Evangelischen Kindergärten Bremens, bis sie das Bedürfnis hatte, etwas Neues zu wagen. Sie stieg aus, sah sich in der Welt um und erlebte, dass man Kinder anderswo besser fördert als in Deutschland. Zurückgekehrt, schrieb sie ihre Doktorarbeit über die Bildungspläne zur frühkindlichen Förderung in Krippen und Kitas, die inzwischen alle deutschen Bundesländer herausgebracht hatten, und promovierte mit 57 Jahren.
Seitdem baut sie Krippen, Kindergärten und Horte auf, »in die sie als Kind gern gegangen wäre«. Das tut sie im Auftrag des »kapitalistischen Großkapitals«, werfen ihr manche Leute vor. Zum Beispiel für Daimler, RWE und die Deutsche Telekom. »Warum sollte ich mich vor dem Geld der Wirtschaft fürchten?« fragt sie und erzählt in einem BK-Gespräch, worauf es ihr ankommt und was ihr sonst noch so vorschwebt.
Menschen ernst nehmen – das ist eine wichtige Haltung, Kindern wie Erwachsenen gegenüber. Leider kann man das nicht intravenös spritzen. Man muss es erleben, vorgelebt bekommen.
Mein Vater und meine Mutter nahmen mich ernst. Die Geschwister natürlich nicht immer, weil ich die Jüngste war.
Selbst in der Politik kann man vieles auf das Thema »Ernst nehmen« zurückführen. Manche Länder fühlen sich nicht erst genommen. Viele Bürger fühlen sich von den Politikern nicht ernst genommen. Kinder fühlen sich von Erwachsenen nicht ernst genommen.
Dort, wo ich Betriebskitas aufbaue, versuche ich, dafür zu sorgen, dass das Thema »Kinder« zum Chefthema wird, dass Kinder im Unternehmen ernst genommen werden und dass man ihnen Wertschätzung entgegenbringt. Manchmal erlebe ich, dass das klappt, manchmal gelingt es nicht. Das ist schade, denn erst wenn wir Kinder wirklich ernst nehmen, können wir uns damit auseinandersetzen, was sie für Rahmenbedingungen und welche Pädagogen sie brauchen.
Das gilt sicherlich fast flächendeckend, oder?
Ja. Da wir Kinder hierzulande nicht ernst nehmen – und je kleiner sie sind, desto weniger –, sparen wir an der pädagogischen Ausbildung, der gesellschaftlichen Anerkennung für pädagogische Arbeit und an ihrer Vergütung. Nirgendwo in der Welt ist es mir begegnet, dass Frühpädagogen schlechter bezahlt werden als Schulpädagogen.
Die Pyramide muss umgekehrt werden: unten die wichtigsten und bestbezahlten Pädagogen, denn sie legen Grundlagen, was den Kompetenzerwerb, vor allem aber den Erwerb von Haltungen, sozialen und emotionalen Einstellungen betrifft. Da wünsche ich mir manchmal andere Pädagogen, als wir haben. Und ich wünsche mir, dass wir den Mut zu einem Qualitätssicherungsgesetz haben. Wir müssen darauf achten, wie die Pädagogen mit den Kindern umgehen, aber auch darauf, wie die Träger mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgehen. Welche Wertschätzung erleben sie – nicht nur durch die Vergütung, sondern auch im Umgang? Wie werden sie von Fachberatern unterstützt? Da guckt keiner hin! Da herrscht Beliebigkeit! Das müssen wir verändern.
Zwei Lebensthemen sind heute für mich wichtig: das Thema »Qualitäts-sicherung« und das Thema »Bildungsgerechtigkeit«. Dass wir überall in Deutschland unterschiedliche Rahmenbedingungen haben, uns nicht auf einen Quadratmeterschlüssel, auf ein gutes Erzieherin-Kind-Verhältnis und auf Ausbildungsstandards einigen, dass jedem Bundesland überlassen bleibt, was Eltern zu bezahlen haben, das möchte ich nicht weiter hinnehmen. Eltern werden halbwegs ernst genommen, weil man sie als Arbeitskräfte braucht, aber in ihrer Erziehungsaufgabe werden sie nicht unterstützt. Über dieses Thema hätte ich auch gerne mehr in der der Koalitionsvereinbarung gelesen. Qualitätsansprüche im Interesse der Kinder wurden in meinen Augen nicht ausreichend thematisiert.
Also wünschen Sie sich, dass Kinder und Eltern ernster genommen werden?
Ja, das ist richtig. Übrigens: Alte Menschen werden häufig auch nicht ernst genommen und genau so behandelt wie Kinder. Oft werden sie nur als Konsumenten wahrgenommen, weil sie die Hauptkaufkraft in Deutschland darstellen.
Meine Hoffnung – als Protestantin – ist der neue Papst Franziskus, der ein Reformator zu sein scheint. Er hat keine Angst, den Menschen zu begegnen, er stellt sie in den Mittelpunkt und sagt: Die Kirche muss sich den Armen zuwenden, den Benachteiligten. Will sie eine moralische Instanz sein, muss sie sich auf die Menschen zu bewegen, an ihre Bedürfnisse, Sorgen und Nöte anknüpfen. Diese Einstellung würde ich gerne öfter auch bei der Kirche und der Politik in Deutschland sehen.
Auch was die Kirche anbelangt, könnte man fragen: Hat sich die Obrigkeit von ihrer Basis entkoppelt? Hat sie vergessen, wovon sie sich ernährt?
Ich glaube, die Kirche insgesamt hat sich immer an der wirtschaftlichen Situation orientiert. Da ist Franziskus ein Vorbild, der uns zeigt, was wichtig ist, nämlich: ernst genommen zu werden, Zuwendung zu erfahren, unabhängig von materieller Sicherheit.
Dass in unserer Gesellschaft vieles trotzdem funktioniert, liegt daran, dass die meisten von uns so anständige Typen sind, pflichtbewusst und arbeitsam, die deutschen Tugenden...
Dr. Ilse Wehrmann ist freie Beraterin für Politik und Wirtschaft und Sachverständige für Frühpädagogik. Sie ist Inhaberin von Wehrmann Education Consulting, einem Beratungsunternehmen für den Auf- und Ausbau betriebsnaher und betrieblicher Kindertagesbetreuung sowie von Wehrmann Comites Consulting, einer Personalvermittlung für pädagogische Fach- und Führungskräfte.
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Wehrmann Education Consulting
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Tel.: 0421-30156682/83
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Internet: www.ilse-wehrmann.de
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/14 lesen.