Das Ulmer Modell für die Qualifizierung von Fachkräften für die Arbeit mit den Jüngsten
Wie müssen Erzieherinnen und Frühpädagoginnen angesichts der Tatsache, dass sie in der Regel 30 Jahre im Beruf tätig sein werden und in ihrer Arbeit Kinder begleiten, die vielleicht 80, 90 oder 100 Jahre leben und auf die Erfahrungen in ihrer frühen Kindheit zurückgreifen werden, aus- und weitergebildet werden? Mit dieser Frage beschäftigte sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit e.V. auf ihrer Jahrestagung in Berlin. Berichtet wurde über verschiedene Ansätze zur kompetenzorientierten Aus- und Weiterbildung an Fach- und Hochschulen und in der Praxis. Barbara Leitner stellt ein Modell der Weiterbildung vor.
Wenn sie Kinder begleiten, sollen Erzieherinnen deren Motive und Bildungsthemen wahrnehmen. In ihrer eigenen Fortbildung ist das oft anders. Anbieter gestalten die Bildungsprogramme. Mitunter empfehlen Leitungen oder Träger den Pädagoginnen mehr oder minder deutlich: »Du solltest an diesem Kurs teilnehmen.«
Wie ist es möglich, die Selbstverantwortung der Erzieherinnen für ihre eigenen Lernprozesse zu stärken und dadurch mehr Nachhaltigkeit in der Fortbildung und die Veränderung von Haltungen oder Handlungen zu bewirken? Diese Frage beschäftigt Elisabeth Sailer-Glaser von den städtischen Kindergärten in Ulm. Die 59-jährige ist bei der Stadt für Qualität und Qualifizierung zuständig. Allein im zurückliegenden Jahr organisierte sie cirka 100 Weiterbildungsveranstaltungen für 1.300 Teilnehmerinnen. Damit kann sie zufrieden sein. Und doch weiß sie: Einsichten in neue Entwicklungen brauchen Zeit. Viel zu oft verpufft eine in der Fortbildung gewonnene Erkenntnis im Alltag, weil die Zeit zum Reifen, Erproben und Anpassen fehlt. Deshalb entschloss sie sich, mit dem TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen der Universität Ulm (ZNL) ein neues Modell für eine zertifizierte Weiterbildung zu entwickeln.
Wer in Ulm Fachkraft für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern unter drei Jahren werden will, kann seit 2011 das Zertifikat »Qu3 ZERT« erwerben. Zuvor müssen eine zehntägige Fortbildung und vier Transfermodule absolviert werden. Außerdem muss eine Dokumentation über ein selbst gewähltes Praxisthema vorgelegt werden. Dann folgt ein Abschlusskolloquium.
Über wesentliche Inhalte all dieser Bausteine entscheiden die Teilnehmerinnen selbst. »Die pädagogischen Fachkräfte sollen die Schwerpunkte bestimmen, zu denen sie arbeiten wollen, und zugleich Themen für ihre Einrichtungen bearbeiten«, erklärt Elisabeth Sailer-Glaser. »Unser Ziel ist, dass die Teilnehmerinnen sich für ihre Arbeit auf lange Sicht und tiefgründig qualifizieren.«
Pflicht und Kür
Das Modell gibt den Teilnehmerinnen mit mehr als 100 Themen aus dem regulären Fortbildungsverzeichnis der Stadt einen Rahmen für die Schulung vor. Die Kooperation mit dem ZNL sorgt dafür, dass neueste Erkenntnisse und pädagogische Konzepte vermittelt werden. Mehrere Themen sind für Pädagoginnen, die das Zertifikat erwerben wollen, Pflicht: Eine Fachkraft für die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren muss sich mit Bindung und Beziehung beschäftigen, muss wichtige Schritte der Entwicklung von Kindern unter drei Jahren kennen, muss in der Lage sein, dialogische Kommunikation zu gestalten. »Gleichzeitig suchen sich die Frauen ein Praxisthema aus, das zu ihrer Situation und ihrer Einrichtung passt, und setzen sich damit über längere Zeit auseinander«, erklärt die Fortbildnerin.
Vor allem bei den Praxisthemen, mit denen sich die Frauen von Anbeginn der Qualifizierung beschäftigen und die Fortbildung und Alltag verbinden sollen, werden unterschiedliche Vorkenntnisse und Interessen berücksichtigt.
Einige Teilnehmerinnen befassten sich mit der Frage, warum die Eingewöhnung für Kinder unter drei Jahren und deren Eltern wichtig ist und wie sie in ihren Einrichtungen gestaltet werden kann. Anderen Teilnehmerinnen ging es um tägliche Übergangsrituale – zwischen Familie und Kita oder zwischen den verschiedenen Abläufen in der Kita – und die Frage, wie sie bewältigt werden können. Wie ein roter Faden ziehen sich solche Themen durch die Seminare, die Reflexionsrunden und finden sich schließlich in den Dokumentationen wieder.
Dadurch können Haltungen entstehen oder verändert werden, meint Elisabeth Sailer-Glaser. Sie erinnert sich an eine Teilnehmerin, die zu Beginn der Fortbildung skeptisch war, ob Kinder unter drei Jahren tatsächlich gut in einer Kita aufgehoben sind und nicht besser in die Familie gehörten. Während der Fortbildung beschäftigte sich diese Teilnehmerin mit Erkenntnissen zu Bindung und Beziehung, beobachtete Kinder im Alltag und befragte Kolleginnen. Heute findet sie, dass die Jüngsten wirklich gut in der Kita aufgehoben sind, kennt die Vorteile der institutionellen Betreuung und weiß, was sie in der Praxis dafür tun kann.
Kontakt
Stadt Ulm
Fachbereich Bildung und Soziales
Abteilung städtische Kindertageseinrichtungen
Elisabeth Sailer-Glaser
Schwamberger Str. 3+5
89073 Ulm
Tel.: 0731/161-5431
Fax: 0731/161-1603
E-Mail:
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 06-07/13 lesen.