Ferien! – Wie frei ist diese Zeit, und frei wozu?
Viele Wochen mit neuen Erfahrungen und Erkenntnissen können es werden für die Kinder und ihre Familien, auf eigenen Wegen, die immer auch Bildungswege sind.
Die Ferien sind aber auch die Zeit, in der die Bildungsschere sich noch weiter öffnet. Donata Elschenbroich und Otto Schweitzer begleiten in ihrem neuen Film Familien aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen: ins Heimatdorf der Großeltern in Anatolien, auf eine Fahrradtour in Italien, bei Unternehmungen vor der Haustür (siehe S. 8). Über die »andere« Bildung im Alltag und in den Ferien sprach Donata Elschenbroich mit Professor Peter Fauser während der Dreharbeiten.
Schule macht sich Gedanken über eine »andere Bildung in den Ferien«, und welche Anregungen man dazu in die Elternhäuser geben könnte. Ist das in der Geschichte der Schulpädagogik etwas Neues?
Neu ist nicht, dass Schulen auch ins Elternhaus wirken möchten. Eher hat die Frage eine neue Bedeutung: der Wunsch, eine andere Art des Lernens, des In-der-Welt-Seins zuzulassen, als es die Schule normalerweise ermöglicht.
Wenn ich mit dem einen Auge schaue, will ich warnend die Hand heben: Unsere Seele braucht Freiheit, das Ausatmen nicht weniger als das Einatmen.
Mit dem anderen Auge geschaut: Welches Lernen ist wirklich bildungsbedeutsam? Da fallen mir viele Anregungen ein, bei denen Eltern beteiligt werden können. Dann wird die Ferienzeit eine, in der Kind und Eltern so lernen können, wie es uns – romantisch gesagt – natürlich gegeben ist. Nach allem, was wir heute durch die Forschung wissen: Am besten lernen die Menschen, wenn die eigene Aktivität, die Interessen, das leibhaftige In-der-Welt-Sein in den Vor-dergrund gebracht wird. Und das im Zusammenspiel zwischen Eltern und Kindern; damit Kinder erfahren, was es heißt, mit erwachsenen Menschen zusammen zu sein, die selber von starken Interessen angetrieben sind. Wenn das zu einem »Bildungsprogramm« wird – das wäre eine andere Vorstellung von Ferien.
Dass Pädagogen auch etwas dazu zu sagen haben, ist selbstverständlich. Gute Lehrer sollten die Ferien mitdenken.
Familien leben in sehr unterschiedlichen Verhältnissen. Und in den Ferien öffnet sich die Bildungsschere noch weiter.
Es gibt Elternhäuser, für die spielt die Schule deshalb keine besondere Rolle, weil sie alles selber haben. Für sie ist Schule ein Ort, den man besucht, weil es eben Pflicht ist, aber für die Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder und für ihr Lebensschicksal ohne große Bedeutung, weder als Chance, noch als Bedrohung.
Dann gibt es die so genannte Mittelschicht, jene Eltern, die darum kämpfen, nicht abzusteigen, und die in der Schule eine Chance zum Aufstieg ihrer Kinder sehen. Sie haben ein scharfes Bewusstsein dafür, dass Schule Chancen eröffnen, und verbauen kann. Diese Eltern könnten erleben, dass sie die Schule nicht als Trimmgerät für Kompetenzen missverstehen und auch noch in die Ferien hinein verlängern sollten, also Unterrichtstoff wiederholen, Vokabeln pauken, Übungsaufgaben rechnen…
Und dann gibt es die Familien, die durch ihre kulturelle, soziale und ökonomische Lage bildungsfern sind. Da sage ich – vor allem zu den Familien mit Migrationsgeschichte, die eine entfaltete eigene Herkunftskultur haben: In den Schulferien gibt es die große Chance, eure Kinder in eure wahre Nähe zu bringen, dorthin, wo eure eigenen Wurzeln sind, und auf den Ferienreisen in die Heimatländer der Eltern oder Großeltern zugleich auch andere Lebensformen bewusster zu erleben.
Und schließlich: Gegenüber Familien und Kindern, die zum so genannten »Prekariat« gehören, hat die Schule eine aktive Pflicht. Diesen Kindern müsste man in den Ferien neue Chancen eröffnen, die auch die Eltern mit ihren Kindern zusammenbringt und ihnen Freude an Erkundung der Welt und am eigenen Engagement vermittelt.
Was könnte gerade für diese Eltern ein Anstoß aus der Schule sein?
Zunächst müssen Schulen die Türen aufmachen. Jede Schule hat viele Beschäftigungsangebote, die auch für Erwachsene bildsam sind. Projekte, also Aktivitäten, die sich über längere Zeiträume erstrecken, sind ja vor allem in den Ferien möglich. Wichtig ist, dass Kinder da zwar Zeit für sich haben, aber auch eingebunden und begleitet sind in einen gestalteten, ganzen Tag. Eingebunden heißt, dass es jemand gibt, der wahrnimmt, was ich tue, und mir eine Anerkennung gibt.
Was haben die Erwachsenen davon?
Für viele Mütter, die sich aus auch seelischer Not und Überlastung kaum ihren Kindern widmen, können in den Schulferien Gelegenheiten geschaffen werden, sich von den Berufspädagogen entlastet emotional neu auf ihre Kinder einzulassen. Eine Gelegenheit, selbst Kind sein zu dürfen, sich dabei zu erholen, und dem Kind auf andere Weise nahe zu kommen.
Das wäre sozusagen ein erweitertes Hortprogramm. Aber viele Eltern reisen wochenlang in die Heimatländer. Dabei lernen ihre Kinder viel – sprachlich, lebenspraktisch, kulturvergleichend. Von der Schule wird dieser Wissenszuwachs aber ignoriert, er bleibt »bildungsfern«.
Auf diesen Reisen erleben die Kinder ihre Eltern in einer realen anderen Umgebung, in einer authentischen Situation, und sie können da mit ihrem Leib und ihren Sinnen Anschlüsse finden an das, was für sie in Deutschland nur eine seelische Realität ist, die Heimat ihrer Eltern. Eltern sollten Anregungen bekommen, das mit ihren Kindern bewusster anzugehen – durch Erzählungen aus der eigenen Kindheit. Sie vertraut machen mit ihnen wichtigen Menschen. Eine kleine Sammlung anlegen mit Alltagsgegenständen, Bildern, Erinnerungsstücken, eine Schatzkiste kostbarer Entdeckungen. Damit für die Kinder die Herkunftskultur der Eltern, die in der Migration oft wie in einem inneren Tresor verschlossen ist, lebendiger wird.