Ein Geburtstagsgruß zu 20 Jahren Bagage
Der Dozent aus Berlin reist das erste Mal zur Bagage. Mann, Mann, Mann, denkt er im Zug: wärn wa die jleiche Strecke nach Osten jefahrn, wär ick wohl längst in Sibirien. Endlich sieht er die Stadt näher kommen, mit dem Schwarzwald darüber, und ein bisschen neidisch denkt er: Berge hamwa keene in Berlin – aber hättn wa welche, wärn se jrößer! Nun steigt er aus, und der modernistische Bahnhof beruhigt ihn etwas: Sowat ham wa ooch in Berlin, in jedem Bezirk ungefähr zehn Stücker.
Etwas angestrengt trabt er bald durch eine irritierend pittoreske Altstadtkulisse, immer darauf bedacht, nicht in den offen daliegenden Abwasserleitungen – hier wird wohl ooch überall jerade jebuddelt, wie bei uns! – zu treten. Außerdem ist es ihm in seiner dicken Jacke viel zu warm – aber ausziehen und im T-Shirt rumlaufen wie all die anderen hier? Ja, auch bei uns ist es schön warm, gedenkt er voller Heimatliebe, aber zum Glück dann, wenn die rechte Zeit dafür ist – und nicht wie hier mitten im November!
Im kuckucksuhrartig verschnitzten Hotel begrüßt man ihn sehr freundlich mit Namen, ihm kommt das verdächtig vor: Wollen die ihn irgendwie über den Tisch ziehen, einlullen mit ihrer gespielten Freundlichkeit? Als er auch nach der Qualität seiner Anreise gefragt wird, sieht er die Zeit für eine nötige Grenzziehung gekommen: »Ick bin hier nich zum Quatschn, sondern will jetze mein Zimmer beziehn!« »Ischrecht«, antwortet man ihm, und er rätselt, was dieser Zischlaut nun wieder für eine Provokation bedeuten könnte.
Anderntags bei Bagage begrüßen ihn freundliche Jungs undefinierbaren Alters, die lässig an einer Balkonbrüstung wie auf der Ponderosa-Ranch lehnen. Ob sie gerade Pause machten, fragt der Berliner höflich, weil er nicht stören will, aber die Jungs behaupten, durchaus keine Pause zu machen, sondern zu arbeiten. Der Berliner stutzt: Arbeiten ist für ihn, wenn man schuftet, schwitzt und darüber stöhnt. Das hier wirkt auf ihn eher, wie wenn er frei hat, sich hinsetzt und denkt: Anjenehm, mal nüscht zu tun.
Ebenso irritiert der Seminarraum den Gast aus der Hauptstadt. Gewiss, der sieht gemütlich aus, sogar der Wartebereich sieht aus wie ein Wohnzimmer, aber ist das sinnvoll? Sollten Seminarräume nicht so aussehen wie er sie sonst kennt, nämlich kahl mit grauen Polsterstühlen auf ebenso grauem Teppich, unterbrochen nur durch wenige Muster aus Kaffeeflecken? Passend zur grauen Theorie, die dort vermittelt werden soll? Nun wird ja von den Bagage-Jungs und -Frauen – die gibt’s da auch – nicht von Theorie, sondern eher von Praxis-Seminaren gesprochen – aber wie eine richtige Praxis sieht das hier erst recht nicht aus. Aus dem gerade benutzten Seminarraum tönt nun Gelächter und Gequietsche herüber. Auch das hört sich nicht unbedingt wie Arbeit oder Lernen an, sondern eher wie Spiel und Spaß. Der Berliner überlegt schließlich, während er in der Kantine, die vertrauterweise Vorderhaus heißt, ein Schnitzel isst: Klar, wir sind ja im Süden – typischet Dollsche far niente, klar! Dass das Schnitzel auch noch gut schmeckt, komplettiert bei dem mit faderem Geschmack vertrauten Berliner das Gefühl völliger Fremdheit.
Info
Michael Fink wohnt in Berlin und war schon mindestens 20 Mal bei Bagage als Dozent zu Besuch. Sonst ist in diesem Text alles ziemlich frei erfunden – weder berlinert er, noch hat es bei ihm mehrerer Besuche gebraucht, um vom Charme badischer Ideenwerkstätten eingenommen zu sein! Aber als pädagogischer Satireautor ist er davon überzeugt, dass es gut ist, mit Wörtern und der Wahrheit zu spielen, um ganz ernsthafte Sachen zu sagen… Das verbindet ihn wohl auch mit Bagage: Spielplatz ist eben überall.
www.bagage.de
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 08-09/12 lesen.