Die Schwerpunktthemen der Jahreszeitenpädagogik
Es ist Ende Juni. An der Ampel, die eine stark befahrene Straße sichert, steht ein Mann im Skianzug, mit Thermohandschuhen und Pudelmütze neben mir. Durch seine verspiegelte Skibrille blickt er auf die brütende Sommerwelt.
Als ich ihm schonend beibringe, dass sich die von ihm erbetene Wegbeschreibung zur Rodelbahn am Teufelsberg aufgrund äußerer Gegebenheiten erübrige, bricht der Fünfundzwanzigjährige heulend über seinem Schlitten zusammen: »Das passiert mir nur, weil bei uns im Situationsorientierten Kindergarten damals immerfort Projekte über Dritte Welt, Ausbeutung und Sexualpädagogik dran waren! Und niemals ordentliche Jahreszeitenpädagogik!« Statt den Kerl in den Arm zu nehmen und zu trösten, tröste ich mich lieber selbst: Gott sei dank ist dieses Erlebnis fiktiv.
Kernthemen der Jahreszeitenpädagogik gehören seit jeher im deutschen Kindergarten zum Standardprogramm. Deshalb muss kein junger Deutscher heute ohne das Fachwissen auskommen, wie man sich, dem Wechsel der Jahreszeiten entsprechend, angemessen kleidet und warum der Kastanienbohrer von November bis September Urlaub machen darf. Dennoch gilt: Auch bewährte pädagogische Ansätze müssen sich, um zukunftsfähig zu bleiben, fortentwickeln – wie der Montessori-Verband, der erst kürzlich nach langer Diskussion verabredete, künftig neben Kupferkesseln auch energieoptimierte Heißwasserbereiter zum Polieren freizugeben. Was tut die Jahreszeitenpädagogik, um auch in Zukunft zeitgemäß zu sein, frage ich mich besorgt.
Wenige Tage später treffe ich zwei führende Vordenker dieser Pädagogik: Professor Joseph »Sepp« Tember, langjähriger Leiter des Jahreszeitpädagogischen Instituts in Winterberg, ist wohl einer der bekanntesten Vertreter des Ansatzes, während Dr. Julia Ugust, seine Assistentin, sich für die konzeptuelle Neubestimmung einsetzt. Tember erklärt mir, warum es gerade in einer Zeit wie der unsrigen viel nötiger ist als früher, die Jahreszeitenpädagogik zu pflegen: »Wie Sie wissen, haben Kinder heute leider nicht nur den Respekt vor der Natur verloren, sondern auch den Einblick in alle natürlichen Zusammenhänge. Kennt man ja: 95 Prozent der Kinder glauben, dass Milch in lilafarbenen Kühen hergestellt und ausschließlich zu Milchschnitten verarbeitet wird.
Schlagen sie mit sechs Jahren das erste Hühnerei auf, rennen sie gleich zum Discounter und fragen den Kassierer, wieso da keine Überraschung drin war!« Nur die intensive Beschäftigung mit den Jahreszeiten könne Kindern vermitteln, dass die Pflanzen eben nur im Sommer grünen und blühen. »Mit Ausnahme dieses verdammten Ficus Benjamini hier«, schnauzt Tember eine fast blattlose Pflanze an, die ihr letztes Blatt daraufhin traurig zu Boden segeln lässt.
Aufgabe ihres Institutes sei es, so Tember, Materialien anzubieten, die interessierten Erzieherinnen die Arbeit nach dem Jahreszeiten-Ansatz erleichtern. »Wir haben Mappen entwickelt«, meldet sich Frau Ugust zu Wort, »die Vorschläge für Projekte zu je einer Jahreszeit enthalten. Jeweils vier solcher Mappen bieten wir als Paket an, so dass die Kitas ein Jahr lang mit guten Ideen versorgt sind.« Sepp Tember ergänzt: »Wir empfehlen, im Anschluss an die ersten vier Jahreszeitprojekte im Sinne des Spiralcurriculums mit Paket II oder III fortzufahren, die auch jeweils insgesamt vier Projekte umfassen. Schauen Sie, die Kinder werden ja mit jedem Jahr größer und gescheiter…« »Und da kommen dann die Fragen zu Herbst, Winter und Frühling noch einmal auf ganz anderem Niveau«, weiß Dr. Ugust und lächelt frühlingsfrisch.
»Eines der klassischen Anliegen unserer Pädagogik ist es«, erläutert Tember, »den Kindern den Einfluss des Wetters auf den Körper zu vermitteln. Dabei geht es um die berühmten vier Grundsätze der Wettererziehung. Erstens: Wetter ist in der Regel nicht gut für den Körper, man muss ihn davor schützen. Zweitens: Es ist – auch wenn Kinder das nicht spüren – in der Regel zu kalt. Drittens: Ist es nicht zu kalt, dann ist es im Regelfall zu heiß. Viertens: Ob zu heiß oder zu kalt – um sich zu schützen, müssen die Kinder bestimmte Bekleidung tragen. Ein Sonnenhut schützt den Kopf vor dem Eindringen der Hitze, während der Regenhut das Eindringen von Wasser verhindert. Vor dem Ausdringen von Wärme schützt die Wollmütze, die auch bei Normalwetter nicht schaden kann.« Ich nicke verständig, während Julia Ugust an meinem Ärmel zupft: »Apropos Wetter – es ist heute deutlich kühler. Darf ich Ihnen die Ärmel runterkrempeln?«
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Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/12 lesen.