Wenn das Buch ein Spiel wäre ...
Zeitgenössische Bilderbücher bieten Kindern vielfältige Bildungsmöglichkeiten, wenngleich viele Erwachsene diesbezüglich eher Vorbehalte haben: Sind diese Bücher überhaupt noch etwas für die Kinder? Haben sie nicht zu wenig Text? Solche und ähnliche Fragen sind angesichts zeitgenössischer Bilderbücher immer wieder zu hören – bemerkenswerter Weise, obwohl es kaum Rezeptionsforschung im Kontext des zeitgenössischen Bilderbuches gibt, das heißt derartige Sorgen der Erwachsenen nicht wissenschaftlich belegt sind.
Aus diesem Grund starten Susanne Anders, Lehrerin einer jahrgangsübergreifenden Klasse der Evangelischen Grundschule Potsdam, die Kinder der (Schulklassen) Silberdelfine und Geparden, Kirsten Winderlich und der Fotograf Nick Ash in Kooperation mit »Betrifft KINDER« den Versuch, die subjektiven Sichtweisen von Grundschulkindern auf das zeitgenössische Bilderbuch zu inszenieren und in Bild und Text zum Ausdruck kommen zu lassen.
Denn, so Susanne Anders: »Bilderbücher bieten etwas anderes und vor allem sind sie überraschend. Manchmal sind sie riesengroß, mal winzig klein. Einige kommen ohne Schrift aus, andere schreiben ihre Sätze im Kreis. Dazu kommen die Bilder, gemalte, fotografierte, gekleckste, gezeichnete, schöne und hässliche. Das ist eine ästhetische Herausforderung.«
Die Reihe dieser neuen Bilderbuchwerkstatt beginnt mit Büchern über Tiere, Eier, Sterne, Maschinen, mit Büchern, die vom Entdecken und Erforschen erzählen – und zwar auf eine Weise, die zwischen den Seiten Welten wachsen lässt, die einen staunen machen.
Am Anfang war der Raum
Eine besondere Rolle in dieser Arbeit spielt natürlich der Raum, in dem die Bilderbücher von den Kindern ins Spiel gebracht und erforscht werden. Sie findet in der Bibliothek der Schule statt, die kürzlich unter Elternbeteiligung von Architekten, Lehrern und Tischlern entwickelt wurde und nun der kritischen Nutzung der Kinder standhalten muss. Das Besondere dieses Bibliotheksraumes ist, dass er nicht nur der Aufbewahrung für die Bücher dient, sondern auch dem individuellen Lesen und Betrachten Raum gibt. Die Regale sind nicht nur für die ordnende Bücherunterbringung da, sondern bilden gleichzeitig eine Art Hochgalerie, die als Rückzugsort für die Kinder fungieren kann.
Darüber hinaus rahmen die beiden fast wandhohen Möbel den Platz in der Mitte des Raumes wie ein Forum, in dem, auf flexiblen Hockern oder Kissen sitzend, sich angeregt ausgetauscht und diskutiert werden kann. Die Regalvolumen sind so großzügig zugeschnitten, dass sie nicht nur großformatigen Bilderbüchern Platz bieten, sondern gleichzeitig auch den Kindern selbst – ganz ähnlich wie Tove Jansson, die »Mutter« der Mumins, es in ihren Kindheitserinnerungen (Die Tochter des Bildhauers) so plastisch darstellte.
Das Regal im väterlichen Atelier bot ihr nämlich nicht nur den notwendigen Rückzug, ihren eigenen Gedanken nachzusinnen und dabei nicht auf die Geborgenheit schaffende Anwesenheit des Vaters zu verzichten, sondern ermöglichte ihr gleichzeitig, an seinen Schaffensprozessen teilzunehmen. Ähnlich wie die von Jansson beschriebene Ateliersituation des Vaters bietet die neue Bibliothek den Kindern einen Raum, der sowohl für die eigene Auseinandersetzung mit dem Buch Platz schafft als auch die Beobachtung der anderen bei deren Tun zulässt.
Dass beim Lesen, Bilderbetrachten und Erzählen nicht immer nur bedeutend erscheinende Erkenntnisse gewonnen werden, sondern der Gewinn der Auseinandersetzung mit Büchern und den Anderen gerade oft im scheinbar Nebensächlichen liegt, macht ein Sprachwerk an der Galeriebrüstung deutlich. Es handelt sich hierbei um ein Zitat aus Kurt Schwitters »Banalitäten aus dem Chinesischen« und konstatiert fast feierlich »Rote Himbeeren sind rot«.
Doch wie in dieser Bibliothek konkret gearbeitet wird, soll im Folgenden mit einer Vorstellung von Bilderbüchern, die vom Entdecken und Forschen handeln, über Bild und Text gezeigt werden.
Die Bilderbuchwerkstatt
Gleich zu Beginn der Werkstatt erarbeiten die Kinder gemeinsam mit ihrer Lehrerin vielfältige Impulse für ihre Auseinandersetzung mit den Bilderbüchern, die in Form von Fragen in der Bibliothek an der Wand hängen. Auffällig ist dabei, dass die Rezeption der Kinder weniger durch Fragen unterstützt wird, die auf den konkreten Inhalt des Buches abzielen, sondern vielmehr den konkret handelnden Umgang mit dem Buch oder zum Buch anregen, z.B.:
- Wo empfiehlst Du das Buch zu lesen (Badewanne, Bett, Pferderücken...)?
- In welche Jahreszeit passt dieses Buch?
- Wozu macht das Buch Lust – nachzudenken oder zu forschen oder zu basteln, zu malen, zu singen, ein Tier zu streicheln?
- Wenn das Buch ein Tier wäre oder eine Blume oder eine Farbe...
Vor dem Hintergrund dieser Impulsfragen, die einen handelnden ästhetisch-forschenden Umgang mit den Büchern anregen, ist es nicht erstaunlich, dass die Kinder während der Werkstatt begonnen haben, Spiele zu den einzelnen Bilderbüchern zu entwickeln.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 04/10 lesen.