Man hat ganz schön viel mit Tests zu tun, wenn man heutzutage erfolgreich durchs Leben kommen will, findet Michael Fink und stellt sie vor: Die nach unserer Hitliste wichtigsten Tests für kleine und große Menschen im und um den Bildungsbereich herum.
Ist jemand zu Hause?
Der Schwangerschaftstest
Der ideale Test für Neueinsteiger, denn es geht noch nicht darum, was du kannst oder was du bist, sondern nur darum, ob du bist. Das garantiert vergleichsweise fantastische Erfolgsquoten: Bei Existenz gibt es 100 Prozent!
Eines ist in jedem Fall bemerkenswert: In diesem Test ist es völlig normal, wenn der Tester – ein kleines Stäbchen oder Röhrchen – angepisst reagiert.
Unser Urteil: Schnell durchgeführt, klare Ergebnisse – ein toller Test! Einziges Manko: Der Test ist perfekt für Wunschkinder, während Betriebsunfälle und andere ungewollte Kinder manchmal nicht die erwartete Anerkennung für ihren Testerfolg bekommen.
Bei Null bist du tot: Der APGAR-Test
»Ich hatte schon damals die volle Punktzahl erbracht!« Wer solche Ergebnisse beim ersten Test nach der Geburt vorweisen kann, dem kann doch nichts mehr passieren. Oder?
Beim APGAR-Test, der in den ersten Lebensminuten gleich drei Mal durchgeführt werden soll, geht es weniger um Faktenwissen, und Prüfungsangst ist auch eher selten: Wer am ganzen Körper rosig ist und mehr als 100 Herzschläge pro Minute produzieren kann, steht oder besser: liegt schon fast auf dem Siegertreppchen. Blaue Körperfarbe und allgemeine Schlaffheit führen hingegen zu strengem Punktabzug. Nichts für die Stillen im Lande: Wer am lautesten krähen kann, wird schon in diesem Test mit tollen Zusatzpunkten belohnt.
Unser Urteil: Für vitale Testkandidaten ist das »Full House« beim APGAR ein leichtes Spiel. Wer allerdings auch beim dritten Versuch nur 0 Punkte erreicht, sollte an seiner Vitalität zweifeln.
Nordrheinwestfälisch Sprak – schwere Sprak:
Der Delfin-Sprachstandsfeststellungstest in NRW
»Ich tann son besser prechen als wie du.« Vierjährige lieben es, sich miteinander zu messen, und deswegen stehen Sprachstandsfeststellungstests bei ihnen hoch im Kurs. Am beliebtesten: der NRW-Sprachtest »Delfin 4 Stufe 1 + 2«.
So funktioniert er: Gern in Begleitung einer netten Erzieherin dürfen die Kids ihre coole zukünftige Lehrerin in der Grundschule besuchen, um dort beim Testspiel »Ein Besuch im Zoo« so crazy Aufforderungen ausführen zu können wie die folgenden: »Stelle den Tierpfleger auf die gelbe Blume neben der Mauer« oder »Stelle den Tierpfleger auf den Bären«. Wer den Tierpfleger erfolgreich platziert hat und anschließend den Satz »Abends hört das liebe Buch einen Schrank« erfolgreich nachsprechen kann, erspart sich die zweite Teststufe mit dem verheißungsvollen Titel »Ein Besuch im Pfiffikus-Haus«.
Unser Urteil: Tierpfleger auf Kommando auf Bären zu stellen – wollten wir das nicht alle schon einmal tun? Ein prima Test also, dessen hohe Beliebtheit auch erklärt, dass von den 140.000 teilnehmenden kleinen Nordrhein-Westfalen immerhin 62.000 im Jahre 2007 nicht auf den Besuch im Pfiffikushaus verzichten wollten. Sie waren bei der Stufe 1 durchgefallen.1
Wie deutsch ist das denn?
Der Einbürgerungstest
Wer den Tierpfleger richtig platziert, kann gut deutsch sprechen. Aber ist er damit auch innerlich deutsch genug, um später deutscher Staatsbürger zu werden? Sind Papi und Mama mit ihren rückständigen Ansichten dafür überhaupt schon reif?
Auch dafür haben Bildungsforscher der Humboldt-Universität in Berlin einen feinen Test entwickelt. Coole Gewissensfragen wie die folgende aus dem Baden-Württembergischen Einwanderungstest gibt es leider nicht mehr: »Ihre volljährige Tochter/Ihre Frau möchte sich gerne so kleiden wie andere deutsche Mädchen und Frauen auch. Würden Sie versuchen, das zu verhindern? Wenn ja: mit welchen Mitteln?«
Doch die jetzt gültigen Fragen sind auch gut, teilweise sogar so superschwer: Bei welchem Fest verkleiden sich die meisten Leute? Und was ist das mit den bunten Eiern? Wie heißt das Bild von Caspar David Friedrich mit diesem kreidigen Felsen auf Rügen drauf?
Richtig lustig ist Antwortmöglichkeit D auf die Frage »Was versteht man unter dem Recht der ›Freizügigkeit‹ in Deutschland?« Nämlich: »Man darf sich in der Öffentlichkeit nur leicht bekleidet bewegen.«
Unser Urteil: Gewiss der aufwändigste Test, den wir hier vorstellen. Man muss viel büffeln, um Deutscher zu werden. Lohnt sich das überhaupt? Oder sollte man damit warten, bis endlich Pflicht ist, sich bei uns in der Öffentlichkeit nur leicht bekleidet zu bewegen?
Wie schlecht sind wir wirklich?
Die Kita-Einschätz-Skalen
Nicht nur die Kleinen mögen es, sich mit anderen zu messen: Die vielen Nachfolger der Early Childhood Environment Rating Scale ermöglichen es deutschen Kitas, die eigene Qualitätsstufe, die dann mit mehr oder weniger Sternchen honoriert wird, zu fast jedem Aspekt der Arbeit zu ermitteln. Klar, dass die superschweren Fragen nicht einfach zu beantworten sind: Zeigen unsere Kinder »gelegentlich positives Sozialverhalten…« – schade, nur ein Stern. Zeigen sie »öfter positives Sozialverhalten« – na ja, drei Sterne. Für »ständig positives Sozialverhalten« gibt es fünf Sterne und Applaus.
Beziehen wir im Atelier »monatlich dreidimensionale Materialien mit ein« und tun wir das zwei Mal im Monat, gibt es immerhin drei Sterne. Wenn wir es wöchentlich über uns brächten, bekämen wir dafür fünf Sterne?2
Unser Urteil: Die Einschätzskala macht Spaß, fast noch mehr als der Brigitte-Psycho-Test. Wem es zu anstrengend ist, ständig dreidimensionale Materialien mit einzubeziehen und die Kinder zu pausenlosem Positiv-Sozialverhalten anzuhalten, der nimmt einfach eine andere Skala, zum Beispiel die des Diözesan-Caritasverbands für die Diözese Köln, in der Antworten auf tolle Fragen wie die folgende erwartet werden: »Hat die Mitarbeiterin Gottvertrauen?«
Ganz schön betrokken heute, die Klöters! Engagiertheit einschätzen mit der Leuvener Engagiertheitsskala
Woran erkennt man bloß von außen, dass Kinder begeistert sind? Wie sieht es eigentlich aus, wenn jemand konzentriert ist?
Wer schon seit Jahren über diese unlösbaren Fragen grübelte, dem ist mit der »Leuvense betrokkenheidsschaal voor kleuters«, zu deutsch: »Leuvener Engagiertheitsskala« geholfen. Ihr Kind hat rote Wangen (siehe auch APGAR-Test!), redet laut, schwitzt? Dann kann es gut sein, dass es begeistert ist. Denn, so haben die Forschungslöwen in Leuven ermittelt: Oft drücken Kinder ihre Freude an der Aktivität durch Sprache aus.
Unser Urteil: Ausprobieren und unbedingt in die Kita-Homepage schreiben, dass man nach der Leuvener Skala arbeitet – das klingt gleich so richtig engagiert. Auch für Erziehungs- und Sozialwissenschaftler, die sonst immer verwirrt im Kindergarten stehen und überlegen, was die Probanden da eigentlich die ganze Zeit tun, ist das Ausfüllen der vielen Skalen bestimmt sehr aufschlussreich. Nur wer Kinder schon länger kennt, reagiert möglicherweise so: Blasse Gesichtsfarbe. Verstummen. Kein Schweiß. Ein Zeichen für fehlende Begeisterung?
Hefte raus zum »Programme for International Student Assessment-Ergänzung«-Test!
Endlich ist wieder PISA-Zeit! Egal, ob der »große« internationale Vergleichstest PISA oder der intimere Ländervergleich PISA-E: Die von OECD produzierte Studie hat immer noch unzählige Fans, die immer wieder mitfiebern, bis es am Ende heißt »Greek: Zero Points. Germany: three Points. Sveden: twelf Points!«
Welche Fragen werden die 31.098 Kandidaten beantworten müssen, die sich für die sechste Staffel beworben haben? Wird es wieder so tolle Fragen wie 2006 geben, als erraten werden musste, ob Stichlingsmännchen eher durch den flachen Bauch des Stichlingsweibchens oder dessen rote Körperfarbe zur Kopulation angeregt werden?
Wer wird in der Jury sitzen? Dieter Bohlen wird doch hoffentlich auch wieder dabei sein?
Worum wird es in der ersten Motto-Show gehen? Oder habe ich beim Schreiben irgendwas durcheinander gebracht? So viele Fragen!
Unser Urteil: PISA ist immer noch Garant für gute Unterhaltung. Besonders toll am Format ist: Da zwischen den einzelnen Studien eigentlich bildungspolitisch nie etwas Großes passiert, bleibt es spannend, wer zufällig beim nächsten Mal vorn liegt.
Gesamtwertung
Toll am Test: »Morgen kriegen wir vielleicht den Erdkundetest zurück.« Es ist immer wieder spannend, auf Testergebnisse zu warten. »Vielleicht bin ich diesmal der beste?«
Tests durchzuführen macht auch Spaß: Man kann sie auswerten, Ergebnisse interpretieren und überlegen, ob sie stimmen oder ob der Test nicht gut war. Dann kann man den Test verändern und noch einmal durchführen. Die Ergebnisse sind so herrlich objektiv – wenn der Test gut war...
Nicht so toll am Test: Karl Marx hat mal gemeckert: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.«
1 Oh, zu negativ formuliert? Lassen wir doch lieber das NRW-Bildungsministerium formulieren: »Landesweit konnten dabei rund 57 Prozent der beteiligten etwa 145.000 Kinder – das sind immerhin rund 83.000 Kinder – bereits frühzeitig aus dem Verfahren genommen werden. Diese Kinder haben schon im Rahmen der ersten Stufe gezeigt, dass sie ganz offensichtlich über gute Deutschkenntnisse und eine altersgemäße Sprachentwicklung verfügen!«
2 Alle Beispiele aus: Schlecht/Förster u.a.: Kita – Wie gut sind wir? Skalen zur Einschätzung der pädagogischen Qualität nach internationalen Standards unter Einbeziehung aller Bildungspläne in Deutschland. Cornelsen 2008
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/09 lesen.