Maria Seemel und Sandra Klünder erzählen ihre persönlichen
Bildungs- und Lerngeschichten
Maria Hopp, inzwischen Frau Seemel, und Sandra Becker, nun verheiratete Klünder, absolvierten als Studentinnen des Studiengangs »Erziehung und Bildung im Kindesalter – B.A.« im Jahre 2006 ein dreimonatiges Praktikum in Peking.1 2007 folgten sie dem Angebot ihrer Pekinger Praktikumsstelle »Der Kindergarten«, die Einrichtung als stellvertretende Leiterinnen zu unterstützen, bekamen die Möglichkeit, das Berliner Bildungsprogramm umzusetzen, und fanden Arbeitsbedingungen vor, von denen sie in Berlin nicht zu träumen gewagt hätten.
Der folgende Beitrag ist ein Resümee der gemeinsam erlebten Zeit und verschiedener Wege, die das gleiche Ziel haben: Bildung für Kinder.
Sandra interviewt Maria
Warum hast du dich für die Arbeit in Peking entschieden?
Bereits im Praktikum gefiel mir »Der Kindergarten« sehr gut. Ich war begeistert von der Art und den Möglichkeiten der Arbeit. Mir gefiel das Leben außerhalb Deutschlands, das Umdenken in einer anderen Kultur, das Neue, das zu entdecken war. Nach dem Praktikum hielt ich den Kontakt zur Kindergartenleitung und bekam noch während des Studiums die Zusage, in »Der Kindergarten« arbeiten zu können.
Mein Mann war neugierig auf China und sofort bereit, mich zu begleiten. So entschieden wir uns beide dafür: in Peking zu arbeiten und zu leben.
Was hat dir dieses Jahr gebracht?
Sehr viele Erfahrungen, beruflich und privat. Beruflich konnte ich mich ein Jahr lang in der Gruppenleitung der Vorschule üben, habe viel von den Kindern, in den Reflexionsgesprächen mit dir, Sandra, und in den Elterngesprächen gelernt. Jeder Moment mit den Kindern war so bereichernd, ich habe unheimlich viel mitgenommen. Letztendlich auch den Wunsch, weiterhin mit Kindern zu arbeiten, was während des Studiums nicht meine Vorstellung war.
Ich habe sehr viel aus meinem Studium anwenden können, habe viel beobachtet, die Beobachtungen ausgewertet und eine Form gefunden, sie den Eltern zu präsentieren. All das hat mich in der Entwicklung meiner pädagogischen Arbeit weitergebracht.
Die Basis dafür war das Vertrauen der Kindergartenleiterin, Yvonne Gerig, und das Verständnis der Eltern dafür, dass ich nicht ständig mit den Kindern bastele oder zu jedem Thema ein Lied mit ihnen einübe.
Privat haben mein Mann und ich ein schönes, aber auch anstrengendes Jahr hinter uns. Wir heirateten und beschlossen, noch ein paar Jahre in Peking und dem »Kindergarten« treu zu bleiben.
Was war bei der Arbeit in »Der Kindergarten« so besonders?
Vieles. Besonders die Zusammenarbeit im Team, die Möglichkeiten und Freiheiten, die ich während der Arbeit hatte. Außerdem finde ich es immer noch eine besondere Möglichkeit, dass wir hier in Peking arbeiten und leben können.
Würdest du dich jederzeit wieder für ein Jahr im Ausland entscheiden?
Ja! Das kann ich sagen, ohne nachzudenken. Ich finde, das Leben im Ausland bietet einem persönlich – und in unserem Falle auch beruflich – sehr viele Möglichkeiten der Weiterentwicklung. Festgefahrene Denkweisen werden hinterfragt. Das Leben von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sehe ich heute mit einem völlig anderen Blick. Wer in Deutschland über Integration redet, sollte mal ein Jahr in China leben und dann reflektieren, wie weit er bereit war – ich rede nicht vom »Können«, sondern vom »Wollen« –, sich zu integrieren. Ich habe mich nie besonders deutsch gefühlt, aber ich bin froh, dass es in Peking den deutschen Bäcker, den deutschen Metzger, andere Läden mit Importware, mitunter Toiletten europäischen Standards, einige Straßenschilder in unserer Schrift, vor allem aber Menschen mit viel Verständnis und Geduld gibt. Wer schon mal ein Konto in Zeichensprache eröffnet hat, weiß, was ich meine.
Ich habe verstanden, dass ich einer Kultur angehöre und es für mein Wohlbefinden wichtig ist, bestimmte kulturelle Standards aufrechterhalten zu können.
Welche Nachteile hatte das Auslandsjahr für dich?
Eigentlich keine. Eine Schattenseite gibt es immer und überall. So hatte ich manchmal Angst, dass meinen Großeltern etwas zustoßen könnte, während ich weit weg bin. Außerdem: Ich bin hier privat versichert und würde, wenn ich nach Deutschland zurückkehre, erstmal nicht sozial versichert sein. Überhaupt war der Umzug nach China sehr anstrengend und kostspielig, aber ich habe die Entscheidung nie bereut oder in Frage gestellt.
Was war deine »Bildungs- und Lerngeschichte« in Peking?
Eine meiner Bildungs- und Lerngeschichten kann ich kurz beschreiben: Ein Mädchen in meiner Vorschulgruppe kommt dieses Jahr in die Schule. Es ist noch nicht sicher, ob das in Deutschland oder China sein wird. Sie freut sich auf die Schule, hat aber auch viel Respekt davor. Schon seit langem fürchtet sie, Mathearbeiten schreiben zu müssen. Mit ihren Eltern spielt sie oft Schule, muss dann Mathearbeiten schreiben, und manchmal endet das dramatisch. Deshalb spielt sie lieber alleine Schule. Während der Vorschulzeit gibt es im »Kindergarten« immer wieder Phasen, in denen sich die Kinder in den Lernwerkstätten beschäftigen dürfen. Das Mädchen nahm sich die Rechenstäbchen, legte sie zu einem Muster und sprach zu sich, wie schwer das sei. So verbalisierte das Kind sein Vorgehen und motivierte sich dabei selbst: »Ich schaffe das.«
Während ich das Mädchen beobachtete, fragte ich mich, worum es ihm dabei geht. Was war der Anreiz? Das Muster, das es legte, erschien mir primitiv, die Sache einfach. 20 Minuten lang beschäftigte sich das Mädchen damit, sein Muster mit unterschiedlich langen Stäbchen zu legen, und begleitete sein Tun mit den Worten: »Ich krieg’s noch hin, glaub ich. Endlich! Geschafft! Das war Mathe.« Zufrieden legte das Mädchen die Stäbchen beiseite und sprach das Thema »Mathearbeit« seit dem nicht mehr an.
Diese Beobachtung zeigte mir, dass kindliches Tun immer einen Sinn für das Kind hat. Der Prozess ist wichtig, nicht das Ergebnis. Ich war im Nachhinein froh, dass ich die Beobachtung nicht unterbrach, sondern geduldig wartete und mitschrieb. Die Bildungsgeschichte des Mädchen war meine Belohnung. ...
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 12/08 lesen.