Die Wanze – unbeliebt, aber attraktiv und farbenprächtig
Es gibt kaum einen Lebensraum, in dem nicht eine riesige Zahl kleiner und kleinster Tiere zu finden ist – und dennoch wissen wir über sie und ihr Leben nur sehr wenig. Nur selten kennen wir ihre Namen, und noch weniger wissen wir über ihre Rolle und Bedeutung in ökologischen Zusammenhängen.
Viele Kinder interessieren sich aber für die Welt der Kleinlebewesen. Deshalb stellt Herbert Österreicher verschiedene und höchst bemerkenswerte Vertreter der wichtigsten zoologischen Gruppen vor. Die Serie begann in Heft 10/06.
Biologie und Ökologie
Wenn die Rede auf Wanzen kommt, löst das bei uns meist unangenehme Assoziationen aus: Entweder denken wir dabei an kleine, versteckte Abhörgeräte oder an die »Stinkwanze«, ein Tier, das einen äußerst unangenehmen Geruch verbreiten kann. Dabei bilden die Wanzen eine große und formenreiche Insektengruppe, und nur einige Arten verströmen bei Gefahr diesen typischen Wanzengeruch.
Man kann sagen, dass es weltweit kaum einen Lebensraum gibt, in dem nicht bestimmte Wanzenarten leben. Meist handelt es sich bei ihnen um Wärme und Trockenheit liebende Landwanzen. Aber es gibt auch Wasserwanzen, die – wie Ruderwanzen, Skorpionwanzen und Rückenschwimmer – im Wasser leben. Außerdem kennen wir die kleine Gruppe der Wasserläufer, deren Lebensraum die Wasseroberfläche von Tümpeln, Teichen und langsam fließenden Bächen ist. Alles in allem lassen sich weltweit etwa 40.500 Wanzenarten unterscheiden, von denen rund 1.000 in Mitteleuropa leben.
Im Folgenden befassen wir uns nur mit einigen Landwanzen, darunter besonders attraktive Tiere, deren Körper in Struktur und Farbe der Schönheit mancher Käfer nicht nachstehen. Typisch für die meisten größeren Landwanzen ist der schildförmige Körper. Genauer betrachtet, handelt es sich dabei um drei »Schilde«: das kleine Kopfschild, an dessen Rändern die beiden Facettenaugen sitzen, dahinter das deutlich größere Halsschild und das noch größere Hauptschild, das auch noch den größten Teil des Hinterleibs bedeckt. Diese Panzerung stellt für die Wanzen einen guten und nützlichen Schutz dar: Bei drohender Gefahr oder einer anderen Störung lassen sie sich nämlich gern auf den Boden fallen und geraten so aus dem Blickfeld ihrer Verfolger. Oft hilft ihnen dabei auch ihre grüne, graue oder braune Tarnfarbe.
An der Brust, dem mittleren Teil des Körpers, sitzen wie bei allen Insekten drei Beinpaare. Je nach Lebensweise sind diese Beine als Lauf-, Sprung- oder Schwimmbeine ausgebildet.
Wanzen besitzen zwei Flügelpaare: ein Paar Vorderflügel, die oft ledrig und so farbig wie der übrige Körper sind, und ein Paar unscheinbare häutige Hinterflügel. Manchmal kann man nur mit einer Lupe sehen, wie prächtig diese winzigen Flügel sind: Die nur etwa 4 Millimeter große Netz- oder Gitterwanze (Monanthia rotunda), die im Sommer auf den blau blühenden Natternzungen zu finden ist, besitzt Flügel, die wie kunstvolle Kristallglasornamente aussehen.
Die Flugkünste der Wanzen sind sehr bescheiden und reichen nur für kurze Flüge zwischen den Nahrungspflanzen. Mit Hilfe spezieller Mundwerkzeuge stechen die Wanzen diese Pflanzen an und saugen an ihnen. Bei der Pflanzensafternährung sind manche Wanzen hoch spezialisiert. So lebt der Spitzling (Aelia acuminata) nur an Getreide, die Wolfsmilchwanze (Dicranocephalus agilis) an Wolfsmilchgewächsen, die Beerenwanze (Dolycoris baccarum) an Beerenobst und die Kohlwanze (Eurydema oleraceum) an Kreuzblütlern wie Kohl. Größere Schäden können diese Arten nur bei Massenvermehrung verursachen. Die weitaus meisten Wanzenarten leben einzeln oder in kleinen Kolonien, und wir bemerken sie nur selten.
Im Gegensatz zu den Käfern, den Schmetterlingen und vielen anderen Insekten macht eine Wanze in ihrer Entwicklung eine »unvollkommene Verwandlung« durch. Das heißt, die Larve, die aus einem Ei schlüpft, sieht dem fertigen Insekt (Imago) bereits sehr ähnlich, besitzt aber noch keine Flügel. Sie entwickeln sich erst bei der letzten der vier oder fünf Häutungen.
Eine besonders auffällige Art ist die schlanke und wunderschön rot gezeichnete Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus). Sie ist gut 10 Millimeter lang und besitzt eine grell schwarz-rote Färbung. Gegen Ende des Winters kann man sie häufig in Parks an sonnenwarmen Stellen am Fuß von Linden, Rosskastanien und Robinien entdecken, wo sie sich in großer Zahl versammelt und sonnt. Solche Ansammlungen kommen zustande, weil mehrere Muttertiere ihre Eier gemeinschaftlich und klumpenweise an diesen Baumstämmen abgesetzt haben.
Im späteren Frühjahr taucht auf Doldenblütlern wie Wilde Möhre, Wiesenbärenklau und Wiesenfenchel eine ebenfalls sehr auffällige, 8 bis 12 Millimeter große Wanzenart auf: die Streifenwanze (Graphosoma lineatum). Ihr Körper ist durchgehend mit roten und schwarzen Längsstreifen versehen, die diese Art unverwechselbar machen. Nach der Paarung legen die Weibchen kleine gelbliche Eier in mehreren Schüben auf den Blattunterseiten ihrer Nahrungspflanzen ab. Nach rund zehn Tagen schlüpfen die ersten Larven, die bis zu ihrer letzten Häutung braun bleiben. Erst danach erhalten sie die typische rotschwarze Streifung.
Die jungen Wanzen, die als erwachsene Tiere überwintern, suchen nun nach einem geschützten Platz: in morschen Baumstümpfen, unter Falllaub und in Mauerritzen.
Die Streifenwanze gehört wie Spitzling, Beerenwanze, Kohlwanze und die recht häufige Rotbeinige Baumwanze (Pentatoma rufipes) zur Familie der Baumwanzen, die einen plumpen Körper mit oft auffälligen Schilden besitzen. Viele Vertreter dieser Familie haben Drüsen, durch die sie übel riechende Substanzen absondern können. Besonders typisch ist das für die Grüne Stinkwanze (Palomena prasina), eine unserer häufigsten Baumwanzen. Im Frühling sind diese Wanzen leuchtend grün, gegen Sommerende und im Herbst verfärben sie sich braun bis bronzefarben. Der gesamte Körper ist mit einer zarten Struktur von grübchenartigen Punkten bedeckt. Die Tiere leben einzelgängerisch auf vielen Laubbäumen, besonders auf Linden und Erlen, aber auch auf Disteln und Brennnesseln.
Die Absonderung ihres stark riechenden Sekrets dient den Baumwanzen übrigens nicht nur zur Selbstverteidigung. Oft wird dieses Sekret auch zur Betäubung von Beutetieren wie kleinen Mücken und Käfern eingesetzt.
Ähnlich den Baumwanzen sind die Schildwanzen, deren stark gewölbter Körper über 12 Millimeter groß werden kann. Auch sie sind reine Pflanzensaftsauger und leben vor allem auf Gräsern und anderen krautigen Pflanzen.
www.wanzen-nrw.de
Die besonders umfangreiche Website zum Thema »Wanzen« bietet neben Fachinfos auch sehr schöne Makroaufnahmen der verschiedenen Wanzenarten.
www.koleopterologie.de
Die Koleopterologen, umgangsprachlich auch als »Käfersammler« bezeichnet, haben auf dieser Seite eine extra Rubrik »Wanzen-Galerie« geschaffen, die in beeindruckenden Bildern die große Vielfalt an Wanzen zeigt.
www.insektenbox.de
Fotos und Angaben zur Lebensweise von über 1.200 Insektenarten, die in Mitteleuropa zu Hause sind, bietet diese Website. Neben einer Insektenfibel, die Wissenswertes über Körperbau, Entwicklung und die Beziehung zum Menschen bietet, gibt es einen Online-Wissenstest über Insekten.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/08 lesen.