Aus dem Alltag einer freiberuflichen Trainerin – anbieten, argumentieren und überzeugen – berichtet ManuEla Ritz und bricht eine Lanze für das Thema »Adultismus«.
Ich wähle die Nummer einer Institution, die Fortbildungen für Erzieherinnen organisiert. Das Telefon klingelt, eine Dame, die sich als Frau Starke vorstellt, hebt ab. »Mein Name ist Manu-Ela Ritz«, sage ich. »Ich arbeite seit mehreren Jahren als freiberufliche Trainerin in den Bereichen Antirassismus, interkulturelle Kompetenz und Pädagogik. Ich wende mich an Sie, weil ich Ihnen ein von mir entwickeltes Fortbildungskonzept für Erzieherinnen vorstellen möchte, das sich um das Thema ›Adultismus‹ dreht und...«
Weiter komme ich nicht, sondern werde von der Frage gestoppt: »Zu welchem Thema?«
»Adultismus«, antworte ich, um deutliche Aussprache bemüht. »Adultismus beschreibt die Machtungleichheit zwischen Kindern und Erwachsenen.«
Es hat sich bewährt, mit dieser leicht-verdaulichen Kurzdefinition ins Thema einzusteigen. Frau Starke wiederholt das schwierige Wort betont langsam: »Adultismus? Das habe ich ja noch nie gehört! Woher kommt denn dieser Begriff?«
»Adultismus ist die – zugegebenermaßen vielleicht nicht gerade elegante – Eindeutschung des englischen Wortes Adultism«, erkläre ich.
»Ah, Adultism, abgeleitet von dem englischen Adult für Erwachsene«, kombiniert Frau Starke richtig und lässt mich ergänzen: »Ja, und die Endung -ism oder -ismus dient als Kennzeichnung eines gesellschaftlich verankerten Machtsystems.«
»Aha, dass klingt sehr interessant«, höre ich Frau Starke sagen, und neben ihrem Interesse schwingen viele kleine und größere Fragezeichen mit. Leider habe sie im Moment wenig Zeit, bekomme ich entschuldigend erklärt. Ob ich ihr Unterlagen zu dem Thema schicken könne. Ich biete Frau Starke an, ihr meine Mappe mit einer ausführlicheren Definition und einer groben Übersicht über das Workshopkonzept zuzusenden. Wir vereinbaren einen Termin für die kommende Woche.
Das Nischenthema
Eine Woche später stehe ich vor einem Büro, dessen Türschild bestätigt, dass hier Frau Starke ihrem Tagwerk nachgeht. Ich klopfe. Durch die geschlossene Tür tönt ein gedämpftes »Herein«. Ich trete ein, eine fröhlich lächelnde Frau kommt mir entgegen, reicht mir die Hand und fragt mich, ob sie mir etwas anbieten könne. Ich bitte um eine Tasse Tee.
Frau Starke entschuldigt sich und verlässt das Zimmer, um meinen Wunsch zu erfüllen. Das gibt mir Gelegenheit, ihre umfangreiche Bibliothek zu bewundern. Ich bin freudig überrascht, als ich feststelle, dass nicht nur die üblichen pädagogischen Standardwerke über »kindliche Trotzphasen« und »Grenzen setzen« im Regal stehen, sondern auch sämtliche Bände von Alice Miller, die Bücher von Jesper Juul und Janusz Korczak. Wir werden uns gut verstehen, denke ich, als Frau Starke mit einer Kanne heißen Tees zurückkehrt und mich einlädt, an ihrem Beratungstisch Platz zu nehmen.
Dort liegt die von mir eingesandte Mappe bereit. Sie ist leicht zu erkennen, denn auf ihrem Deckblatt prangen bekannte Sprüche mit hohem Wiedererkennungswert: »Wenn Erwachsene reden, haben Kinder Sendepause«, »Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt«, »Sei lieb!«, »Schäm dich!« und der Klassiker »So lange du deine Füße unter meinen Tisch stellst...« Über diesen Aussagen, mit denen Erwachsene den Ton und die Richtung im Umgang mit Kindern despotisch angeben, steht in großen, roten Lettern das Wort »Adultismus«.
»Da haben sie ja ein Nischenthema aufgetan«, sagt Frau Starke, während sie uns duftenden Tee einschenkt. »Es gibt Seminarangebote zu verschiedenen Einzelaspekten, die in Ihrem Konzept zu einem Ganzen zusammengefasst werden. Respektvolle Kommunikation zum Beispiel und Wertevermittlung.« Schlagwörter, die in diesen Zeiten Inflation haben, denke ich, und kaum mehr als Oberflächenpolitur sind.
Frau Starke setzt sich und schlägt meine Mappe auf: »Aber Sie gehen ein paar Schritte weiter. Sie sprechen von Diskriminierung.« Das letzte Wort kommt ihr scheinbar nur schwer über die Lippen. Sie setzt ihre Brille auf und liest sich, leise murmelnd, die Adultismus-Definition noch einmal durch.
Kontakt
ManuEla Ritz
Karl-Kunger-Str. 33
12435 Berlin
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/08 lesen.